wahrnehmen 1

‚wahrnehmen‘ meint: sich umschauen, betrachten, sehen, bemerken u. s. w.

… eigentlich klar, denkt man. Wenigstens war es mal so im Althochdeutschen.

Man sandte Waechter und Spaeher aus, zusammen wahrzunehmen und zu sehen, wann die Heiden wiederkaemen.  

VOLKSBÜCHER
Seht nach, ihr lieben Knappen mein, was in dem Faß wohl möge sein. Sie schlugen’s auf und nahmen wahr, was in dem Fasse war. Sie sahen eine schöne Maid, die war so rein und unversehrt. ENIKEL

Beide Zitate aus althochdeutscher Literatur stammen aus dem Grimmschen Wörterbuch.

Ich fuehle mich irritiert, wenn ich lese:

„…wenn ferner der Sehende wahrnimmt, dass er sieht, der Hoerende, dass er hoert, der Gehende, dass er geht, und so im uebrigen immer etwas ist, womit wir unsere Taetigkeit wahrnehmen, so dass wir also wahrnehmen duerften, dass wir wahrnehmen , … was wieder so viel ist als Wahrnehmen …, dass wir sind …“ (Aristoteles)

E. V. HARTMANN: Das gemeine Bewußtsein »glaubt die von ihm unabhaengigen Dinge selbst wahrzunehmen, erkennt aber die zugehoerige Wahrnehmungstaetigkeit als etwas zum Dinge selbst Hinzukommendes an. Es unterscheidet nicht das Ding von dem Wahrnehmungsbild, wohl aber das Ding als nicht wahrgenommenes von dem Dinge als wahrgenommenes«

KANT. »Das erste, was uns gegeben ist, ist Erscheinung, welche, wenn sie mit Bewusstsein verbunden ist, Wahrnehmung heißt« »Das Bewusstsein einer empirischen Anschauung heißt Wahrnehmung«

G. E. SCHULZE meint dazu: »Zum Anschauen und Wahrnehmen ist schon viel Mitwirksamkeit des Verstandes erforderlich« (Psych. Anthropol. S. 110).

Und was ist mit einem Kind?

  • Erwachsenen Verstand hat es wohl eher nicht!
  • Nimmt es nichts wahr?
  • Doch.
  • Aber Verstand hat es doch erst spaeter?
  • Moeglicherweise.
  • Fuegt der Verstand dem Wahrgenommenen etwas hinzu?
  • Dafuer spricht einiges. Zum Beispiel Kant’s Aussage: Wahrnehmen ohne Begriffe sei leer.
  • Also nimmt ein Kind ohne Verstand nichts wahr?
  • Im Gegenteil, denke ich: Es nimmt alles wahr,  Erwachsene aber das, wofür ihr Verstand Begriffe hat.

Alle Zitate von Philosophen vgl. „Woerterbuch der philosophischen Begriffe“ von Eisler.
PS: Folgendes passiert, wenn Menschenkinder, die ohne Verstand wahrnehmen auf  Erwachsene treffen, die mit Verstand wahrnehmen:

Zu Unterrichtsbeginn erscheinen 3 Grundschueler 10 Minuten verspaetet zum Unterricht. Der Lehrer meint tadelnd, waehrend er die drei streng ansieht: „Das ist sehr merkwuerdig in Eurer Klasse. Immer kommen Schüler zu spaet aus der Pause.“ Die drei schweigen betreten. Der Lehrer faehrt fort: „Und wisst Ihr, wer am meisten darunter leidet?“ Die drei schuetteln stumm den Kopf und zucken mit den Schultern . Eine Schuelerin, die den Lehrer freundlich anblickt, meint: „Na, Du.“ Lehrer schuettelt  den Kopf: „Nein. Alle anderen Schueler leiden, weil sie 10 Minuten lang nicht lernen konnten.“ Alle schweigen.

Anders – ein kulturelles Tabu

‚funktional‘

‚Norm‘ als ‚zu befolgende Vorschrift‘ moechte ich auf ihre ‚Funktionalitaet‘ und Folgen ueberpruefen duerfen. Es charakterisiert mich seit meiner fruehesten Kindheit, das immer schon bis ins kleinste Detail getan zu haben. Daher finde ich es ziemlich absurd, mir von normkonformen Menschen sagen zu lassen, welche Defizite mein Verhalten in ihren Augen aufweist. Denn sie fragen mich dabei nicht, weshalb mir die eine oder andere Norm als ‚ziemlich widersinnig‘ vorkommt. Sie scheinen weniger an den Folgen ihrer Normen als an deren Befolgung interessiert zu sein.

Rolf Reinhold http://aspi.fitforfuture.de/

‚individuell‘

Es gibt Menschen, die sich als kleine Kinder deutlich von anderen unterscheiden. Geltende Normen scheinen dazu zu ermaechtigen, sie als unnormal zu bezeichnen. Das, worin sie sich unterscheiden, wird als defizitaer aufgefasst. Ihr anderes Verhalten, ihr anderes Sich-Entwickeln, ihre andere Wahrnehmung, ihr anderer Koerper beeintraechtigt, ja stoert ihre Enkulturation, weil es Normen nicht entspricht bzw. Normverletzungen zur Folge hat. In der Regel wird alles nur Denkbare auf dem Therapiemarkt genutzt, um fuer den fragwuerdigen Wert ‚Konformitaet‘ dieses Andere auszumerzen. Ignoriert wird dabei fast immer die Moeglichkeit vom anderen Habitus dieser kleinen Menschen ausgehend, sie auf angemessene Art und Weise anzuleiten und zu unterstuetzen, damit sie lernen koennten, im Rahmen der vorhandenen Normen mit sich und anderen klar zu kommen.

Unterscheidet sich nicht jedes Kind von anderen? Kein Mensch duerfte normgerecht auf die Welt kommen. Jedes Kind ist anders. Mein urspruengliches Andere wurde mir – wie vielen anderen auch – verwehrt. Mal war es mein Widerstand, mal ungewoehnliche Klamotten, mal mein traditionelles Philosophieren, mal meine anderen Haare, mal mein anderes Unterrichten, meine anderen Schlaf- und Ordnungsgewohnheiten, u.v.a.m., in denen dieses natuerliche Beduerfnis nach einem eigenen Anderen sich bemerkbar machte.

‚authentisch‘

Heute bin ich 62 und habe vor wenigen Jahren begonnen zu lernen, meinen jahrzehntelang enkulturierten Habitus mit anderen Augen zu sehen. Rolf Reinholds kulturneutrales Coachen und Philosophieren hat mir dies ermoeglicht. Es gibt jetzt Sichten fuer mich auf mich, auf die Dinge, auf andere – ‚jenseits von gut und boese‘. Sichten, die mir emoeglichen selber zu entscheiden, wie ich mich einfuegen möchte.

‚habitus‘ kann ein Kleidungsstueck bezeichnen, das Menschen als Angehoerige einer bestimmten Berufsgruppe oder Ethnie kenntlich macht. ‚habitus‘ kann sich in ‚Normenkonformitaet‘ erschoepfen. Es gibt einen ‚habitus‘, dessen biophysiologischen Prinzipien zur eigenen Natur gehoeren und den man authentisch entwickeln kann: Das bringt dann das jeweils eigene Andere – spontan und situativ passend – hervor, das mit anderen im Kontakt leben moechte. Moeglicherweise brauchen Menschen nicht mehr, weil so tiefe menschliche Beduerfnisse befriedigt werden koennen.

Die eigenen Werte eines Menschen sind zuerst aus unbewusster UEbernahme, sowie Erlebnissen und Erfahrungen entstanden. Spaeter hat sich jeder von uns Werte und Verhaltensweisen zulegen müssen, die eigentlich nicht zu den vorherigen eigenen Vorstellungen passten. „Werte“ sind die Grundlage, auf der jede kleinste unserer Entscheidungen basiert. Wenn diese Werte jedoch nicht aufeinander abgestimmt (stimmig) sind, führt das daraus entstehende Verhalten bei uns selbst und anderen zu unnötigen Irritationen. Angesichts der zunehmenden Fuelle von Entscheidungen ist es sinnvoll, einen Teil unserer Energie und Aufmerksamkeit darauf verwenden, Unstimmigkeiten bei uns selbst zu aufzudecken und zu bearbeiten.

Rolf Reinhold                                                                                              http://fitforfuture.de/ger/features/feature3.htm#top

Welche Art von Anleiten fürs Finden des Eigenen Rolf Reinhold bieten kann, laesst sich hier nachlesen: http://fitforfuture.de/ger/features/featpro5.htm

sensorieren und philosophieren



’sensorieren‘ thematisiert philosophische Tabus

Fuer Philosophen stellt die Beschraenkung auf ’sensorieren‘ so etwas wie eine ‚philosophische Todsuende‘ dar. Todsuende insofern, als infolge dieser Beschraenkung philosophisch auf alles verzichtet wird, was nicht ’sensoriert‘ werden kann. Dazu gehoert fast alles, was in den zurueckliegenden Jahrhunderten Philosophiegeschichte philosophisch thematisiert und Quelle fuer Theorien und spekulative Systeme wurde, die bis heute dauernde und einigungsresistente ‚Schulstreitigkeiten‘ im Gefolge haben. Ich meine das, was Descartes der ‚res cogitans‘ zurechnet oder Kant unter ‚Vernunft und Verstand‘ abhandelt. Die mehrheitlich geltende kulturhistorische, theologische und philosophische Auffassung, dass bereits im antiken Griechenland Philosophen in aehnlicher Weise philosophiert haetten, verlieh m.E. den Auffassungen von der Herrschaft des Geistigen ueber Sinnliches ein ‚wahrheitsaehnliches‘ Gewicht. Philosophen, die vom ’sensorieren‘ ausgehen, laufen Gefahr als ’so genannte Philosophen‘ bezeichnet zu werden.

Bis heute sind ‚Geist‘, ‚Verstand‘ und ‚Vernunft‘ unter Philosophen selbstverstaendliche Begriffe. Wenn man sie auch z.B. in ‚Sprachspielen‘ anders betrachtet und anders handhabt, als dies ihre aelteren Erfinder taten, so wird doch damit so philosophiert, als koennten Menschen davon ausgehen, dass diese Termini das bezeichnen, das Menschen anregt und bewegt. Dies entspricht auch den Auffassungen vieler Menschen. Die Meinung, wir koennten unser Handeln vernuenftig steuern, ist so alt wie unser Kulturkreis und scheint mehrheitlich ungebrochen gebraeuchlich. Philosophische Profis unterstuetzen bis heute diese Gewohnheit zu denken, und erklaeren: Menschen „… sind vernuenftig handelnde … Wesen.“ (Peter Bieri: Ensemble von Faehigkeiten. DIE ZEIT 44/2007 S. 28 [http://www.zeit.de/2007/44/Peter-Bieri-5])

’sensorieren‘, heißt verzichten auf ‚metaphysizieren‘

Fuer ‚physistisch philosophieren‘ ist es ausschließlich relevant von dem auszugehen, was Menschen kennen. Unbekanntes wie z.B. ‚Geist‘ und ‚Vernunft‘ –’metaphysizieren‘ – ist daher nicht Gegenstand von ‚physistisch philosophieren‘.  ‚Sachen‘ haben Vorrang vor ‚Theorien‘. ‚hinsehen‘ und ‚beschreiben‘ bezeichnen ‚modi operandi‘ von ‚physistisch philosophieren‘. Dem ’sensorieren‘ entspringen dieser ‚modi operandi‘ ebenso wie jeder weiteren Weise zu ‚handeln‘.

Mit der Beschraenkung auf ’sensorieren‘ wird ein Verzicht geleistet, der vielen Philosophen schmerzlich schwer fallen duerfte, vor allem , wenn sie eine akademische Ausbildung haben. Nach meiner Erfahrung wird im universitaeren Philosophiestudium ausschließlich Theorie gelehrt, die sich mit Fragen befasst, die praktisch irrelevant sind.

Positiv daran ist, dass akademisch gebildete Philosophen viele Kenntnisse ueber zahlreiche Theorien und Ideen haben duerften. Diese Kenntnisse koennten aus meiner Sicht dem interdisziplinaeren und gesellschaftsweiten Diskurs nuetzlich gemacht werden, wenn sie im Hinblick auf die ‚ Sachen‘ erforscht und ausgewertet wuerden, die philosophische Theorien und Ideen betreffen.

Die negativen Auswirkungen einer derartigen wissenschaftlichen Ausbildung, die ’sensorieren‘ ignoriert, duerfte zum einen die Unkenntnis darueber sein, wie das Hingehen zu den Sachen, wie ‚hinsehen‘ und ‚beschreiben‘ philosophisch fruchtbar gemacht werden koennen. Zum anderen neigen Menschen dazu, an dem zu haengen, mit dem sie sich jahrelang beschaeftigen. Erfahrung impliziert Werte. Dies gilt fuer Philosophen gleichermaßen. Auf erworbene Werte zu verzichten – auch wenn es dafuer gute Gruende geben kann – ist schmerzlich. Dies kann ich aus meinem eigenen Umlernen bestaetigen.

’sensorieren‘ ermoeglicht ‚authentisches‘

Menschen, die nicht derartig vorgebildet sind, duerfte es leichter fallen, ihr ’sensorieren‘ inspirierend zu erleben. Es duerfte Menschen geben, die praktizierend– ohne dies zu reflektieren – von dem ausgehen, was sie an Kenntnissen gewonnen haben und gewinnen koennen. Dies koennten Menschen sein, die Individualitaet auf Authentisches gruenden und damit ‚im Trend der Zeit‘ liegen, in dem – denke ich – uralte Menschheitsideale wie Eigenstaendigkeit und urmenschliche Beduerfnisse nach Mitmenschlichkeit implizit wirksam werden.

’sensorieren‘ bezeichnet

die umfassende, neuronale Aktivitaet unseres Koerpers.

Mit dem Terminus ‚Sensoren‘ koennen meinen Informationen nach inzwischen alle Nervenzellen bezeichnet werden. Im Zusammenhang mit dem was jede von ihnen erregt, interagieren sie untereinander, miteinander, auf, mit und in unserem Zentralnervensystem mit dem gesamten Koerper, seinen Teilen und biochemischen Prozessen. Dabei geschehen fortlaufend Veraenderungen von Veraenderungen in, an und um  Sensoren, Synapsen, Koerperzellen und biochemischen Prozessen, was wiederum Veraenderungen hervorruft, die veraendernd wirken, um wieder Veraenderungen hervorzurufen, … Dieses in jedem Moment mit mindestens 100 Milliarden von einzelnen Aktivitaeten taetige neuronale Netz arbeitet unbemerkt von jedem Individuum, dem es zur Verfuegung steht. Es haelt uns im Zusammenhang mit unzaehligen biochemischen Prozessen am Leben.

Und was ist mit den Sinnesempfindungen? Die sind bereits darin enthalten. Denn sie koennen m.E. als Pertubationen von unserer Umgebung aufgefasst werden, die in unseren peripher gelegenen Sensoren jeweils spezifische Veraenderungen bzw. Aktivitaeten ausloesen. Ich gehe – meinem Kenntnisstand entsprechend – davon aus, dass die Muster der neuronalen Aktivitaeten einzelner Sensoren sowohl periphaer als auch intern aehnlich sein duerften.

‚pertubieren‘ bzw. ‚Pertubation‘ sind Termini, die ich bei Francisco Varela und  Umberto Maturana gelesen habe. Damit bezeichnen die beiden Biologen ganz unspezifisch alles, was Zellen zu inneren und aeußeren Veraenderungen veranlasst. Dies laesst sich m.E. auch auf komplexe und hoch differenzierte neuronal vernetzte Zellverbaende wie Menschen anwenden. ‚anregen‘ waere eine zutreffende deutsche Bezeichnung. Die Pertubationen Rolf Reinhold’s initiierten und begleiten mein gegenwaertiges Philosophieren neben vielen verschiedenen anderen. Termini wie pertubieren, anregen und synaptische Veraenderungen meines ZNS  fuer ‚lernen‘ sind in unserer Kommunikation gang und gaebe.

Ich habe mit der Zusammenfassung von biologischen und neurowissenschaftlichen Kenntnissen in philosophischer Hinsicht ‚menschliche Natur‘ thematisiert. Mit der Verwendung von Termini wie ‚pertubieren‘, ‚Aktivitaet‘ und ‚Prozessen‘ habe ich implizit Schlussfolgerungen und Hypothesen anderer mit verwendet, die eigentlich naeher erlaeutert werden muessten. Auf Nachfragen tue ich das gern. Die Unterscheidung zwischen ‚Aktivitaet‘ und ‚Prozess‘ hat Rolf Reinhold vorgenommen. ‚Aktivitaet‘ bezieht er immer auf Neuronales. ‚Prozess‘ waere alles UEbrige. Inhaltlich sind die Vorstellungen der beiden Termini noch unvollstaendig, d.h. in Arbeit. ‚Aktivitaet‘ bezeichnete ungefaehr das dynamische Prinzip von Nervenzellen, waehrend ‚Prozess‘ eine eher ueberschaubaren Ablaufes im Blick hat, der in und zwischen anderen Zellen passieren kann und der moeglicherweise einen klar zu bestimmenden Anfang und ein Ende hat. Zwischen ‚Aktivitaet‘ und ‚Prozess‘ zu unterscheiden, koennte auch von allgemeiner philosophischer Beutung sein, die ich aber noch nicht naeher erlaeutern kann.

Hinsehen

Hinsehen ist der Weisheit bester Schluss, wenn man herausfinden möchte, wie etwas geht. Weil viele Philosophen unter der Herrschaft einer großen theologischen Zeit glaubten, sich bestens mit dem Geist und der Seele auskennen zu müssen, haben sie auf das hingesehen, was unsichtbar ist. Sie nannten das ‚wahre Philosophie‘ oder ‚Metaphysik‘.

Man kann metaphysische Erkenntnisse erwägen bzw. produzieren und sie dem Hinsehen vorziehen, und dann erst mal glauben, dass etwas besser funktionieren könnte, weil man unsichtbare Erkenntnisse aus bestimmten Gründen vorzieht. Die Kollisionen mit der Realität sind unausweichlich und man muss sich im Tausch für Hinsehen auf das Sichtbare mit dessen Unabwendbaren ganz und gar blind arrangieren. Man kann aber auch aufhören, mit dem Kopf gegen eine Wand zu rennen und unsichtbare Erkenntnisse so betrachten,  wie sie sich erweisen: Nämlich als nutzlos für ‚handeln‘. Sie dienen lediglich dem eigenen Für-Wahr-halten wollen in Distanz zum Augenschein gegen das, was andere meinen.

Platon hat den Virus des „Idealen“ erfunden – wie es einem Dichter nicht übel genommen werden kann. Es hat ihm möglicherweise gefallen, sich im Besitz übernatürlicher – weil elitärer – Weisheiten zu wähnen. So ging es mir auch. Metaphysische Erkenntnisse – besonders dann, wenn andere, die man liebt, sie auch haben,– sind wie Klebstoff zwischen Menschen, der stillschweigende Übereinstimmung stiftet, in der Art und Weise Welt zu sehen. Mehr als Stillschweigen ist nicht möglich, sobald man in medias res geht, entbrennen verletzende Streitigkeiten. Sich mit der Redewendung „Ich verstehe, was Du meinst!“ retten zu wollen, ist ein weiterer nutzloser Akt.

Geist?

Immer im Gespräch – aber nie entdeckt.

Um sich seiner selbst zu vergewissern, nahm der neuzeitliche Mensch seine Zuflucht zu seinen Gedanken. „Ich denke, also bin ich.“ Dieses Axiom, das wahrscheinlich die kurz gefasste Schlussfolgerung aus einer Vielzahl von Erlebnissen des René Descartes gewesen sein duerfte, wurde in vielfaeltigster Weise von unterschiedlichsten Dichtern und Wissenschaftlern – Philosophen einschließlich – und den diese menschliche Spezies hervorbringenden Jedermaennern – und Jederfrauen zahlreicher Generationen als das angesehen, das einen deutlichen Unterschied zwischen Menschen und anderen Lebewesen machte.

Die alten Griechen koennen irgendwie als Erfinder von ‚Geistigem‘ gelten. Sie waren jedoch weniger versessen darauf, ein ‚unsichtbares Ding‘ mit Substanz und Essenz zu schaffen. Sie waren – wie  auch Dorothea Frede* meint – wohl viel mehr an dem Zusammenhang zwischen  ‚denken‘ und ‚wahrnehmen‘ interessiert. Erst spaeter interpretierte Augustin Thagaste mit anderen griechisches ‚philosophieren‘ in diesem Sinne.  Dass er in diesem Zusammenhang behauptete, die Griechen haetten bereits Vergleichbares in Ansaetzen unternommen, hat sich ungluecklicherweise im Lauf der Jahrhunderte zu ‚Wissen‘ ausgewachsen und philosophiegeschichtliche Sichtweisen begruenden helfen, die wir nur unter Schwierigkeiten revidieren koennen.

* Vgl. Dorothea Frede: Sensus Communis und ‚Synaesthetik‘ bei Thomas von Aquin. In: Hans Adler (2002): Synaesthie. Wuerzburg (Koenigshausen & Neumann), S. 149f.  Bei Google-Buch auszugsweise veröffentlicht und die Stellen zu finden.

Ich gehe von einer anderen Einschaetzung aus, die sich aus meinem ‚philosophieren‘ ergibt: Die Griechen koennten ‚Geist‘ als eine von vielen Moeglichkeiten der Woerter aufgefasst haben, die im gastfreundlichen Kreis mit anderen gemeinsam jeden einzelnen zu Intuitionen anregten, sobald sie jemandem ueber die Lippen kamen. Platons Einfaelle, Ideen, vorgeburtliche Existenz und Metaxy ins Gespraech zu bringen, und damit ‚Geist‘ mit Inhalt zu fuellen, koennen aus meiner Sicht gleichfalls als symposiale Dichtungen angesehen werden.

Auf jeden Fall fahren wir – so meine ich – besser damit, es so zu sehen, als davon auszugehen, die Griechen haetten da etwas entdeckt, ueber das wir verfuegen und mit dessen Hilfe sich so ‚handeln‘ ließe, dass es funktionieren koennte. Wir sollten uns auch nicht davon verwirren lassen, dass in unserem Kulturkreis schon so lang und mit UEberzeugung fuer ‚Geist‘ und gegen ‚Koerperliches‘ gestritten wird. Beide Theorien koennen von immer weniger Menschen – auch Wissenschaftlern – nutzbringend gebraucht werden. Wie Kinder sollten wir uns von den Loesungen unserer Eltern verabschieden, um Herz und Kopf frei zu haben, fuer diejenigen, die unserem eigenen Leben nuetzlich sein koennen.