Unter den ersten Huetten, die Menschen sich bauten, waren solche, die auf Pfaehlen standen. Diese Konstruktion diente vermutlich dem Schutz vor Gefahren. Solange die Pfaehle hielten, konnten sie mehr oder weniger lange Garanten dieses Schutzes sein.
Gewissheiten werden erworben
Aehnlich duerfte es sich mit Gewissheiten verhalten, die Menschen fuer sich erfinden. Ich denke, Menschen brauchen Gewissheiten, nur scheinen sich Menschen in der Regel nicht darueber im klaren zu sein, wie es sich mit Gewissheiten verhaelt, bzw. wie es um die jeweilig eigenen bestellt ist. Gewissheiten scheinen ‚mit der sich wiederholenden Abfolge aehnlicher Ereignisse‘ (David Hume) zu entstehen. Sie beruhen also auf Vergangenem, sind ‚Setzungen aus Erfahrung‘ (Rolf Reinhold) und koennen daher nur eine probabilistische Sicherheit bieten. Ein anderer Schutz als dieser scheint uns Menschen nicht zur Verfuegung zu stehen.
Inzwischen erlaeutern Neurowissenschaftler: Sich aehnlich wiederholende afferente Ereignisse und ihnen folgende efferente Ereignisse ergeben mit der Zeit bestimmte neuronale Aktivitaetsmuster. Durch diese quasi regelgeleitete Arbeitsweise wird unsere organische Effizienz optimiert. Dies laesst sich u.a. an allen unseren motorischen Faehigkeiten (Bewegungen einschließlich Sprache=’handeln‘) ablesen, die jeweils erworbene Aktivitaetsmuster voraussetzen. Der Erwerb solcher Aktivitaetsmuster ist u.a. an Zeit und Wiederholung gebunden. Feststellbar ist aber auch, dass neuronale Aktivitaetsmuster durch optimierte ersetzt werden koennen. Unter Leistungssportbedingungen genuegt es z.B. nicht, die ueblicherweise erworbenen Bewegungsablaeufe einzusetzen. Bewegungsablaeufe muessen veraendert werden, wenn jemand im Wettbewerb mit anderen mithalten moechte. Die Veraenderung erfolgt ueber Reflektion der eigenen Bewegungsablaeufe unter Einbeziehung sportwissenschaftlicher Forschungsergebnisse und dem Trainieren veraenderter Bewegungsablaeufe.
Gewissheiten aendern sich
Menschen leben mit vielen Gewissheiten, meistens ohne damit zu rechnen, dass Gewissheiten, wie alles im menschlichen Leben Veraenderungen unterworfen ist. Auch unsere pfahlhuettenbauenden Vorfahren duerften erlebt haben, dass Holz im Wasser stehend seine Stabilitaet verliert. Die Gewissheit, dass die Waende eines Hauses stabil seien, wird kontrastiert durch die Tatsache, dass fast unmerklich, aber dennoch kontinuierlich der Putz von den Waenden rieselt. Wollmaeuse weisen darauf hin, dass Stoffe und Tapeten Fasern, Gegenstaende aller Art kleinste Teilchen verlieren. Die Dinge nutzen sich ab. Reparaturen oder gar Neuanschaffungen werden noetig.
Unser Koerper ist vielfaeltigen Veraenderungen unterworfen. Belege dafuer koennen sein, Hautteile, Schuppen, die sich in Matrazen, im Badewasser und in Kleidungsstuecken wiederfinden. Wir altern. Hunger, Durst, Muedigkeit signalisieren Veraenderungen. Der Gewissheit: Ich bin jetzt satt, folgt die Gewissheit: Ich habe Hunger. Wir beschließen den Tag mit der Gewissheit fuer heute genug getan zu haben, um am naechsten Morgen mit der Gewissheit aufzustehen, dass es noch viel zu tun gibt. Die Gewissheit, dass eine bestimmte Dienstleistung von einem ganz bestimmten Betrieb angeboten wird, muessen wir aufgeben, wenn dieser Betrieb schließt.
Beton in den Städten, Tomaten auf den Augen und Bohnen in den Ohren?
Waehrend wir den Verlust alltaeglicher Gewissheiten in der Regel – gelegentlich unter Unmutsbezeugungen akzeptieren – gibt es eine Art von Gewissheiten, die wir nur schwer oder gar nicht aufgeben moechten oder koennen. M.E. handelt es sich dabei um die Gewissheiten, mit denen wir am laengsten vertraut sind. Menschen neigen dazu an lang vertrauten Gewissheiten auch gegen andersartige Ereignisse festzuhalten. Je geringer die Anzahl der Ereignisse ist, die einer bestimmten Gewissheit entgegenstehen, desto leichter scheint dies zu gelingen. Der bekannte Spruch: „Die Ausnahme bestaetigt die Regel!“ kann fuer derartige Konstruktionen stehen. Man bezeichnet dies als „Nicht-Wahrhaben-Wollen“. Max von der Gruen beschrieb in seinem Buch „Wie war das eigentlich?“ ueber seine Kindheit und Jugend im Dritten Reich das Phaenomen, dass die Menschen oft bemerkten, wenn sie von Graeueltaten hoerten: „Wenn das der Fuehrer wuesste!“ Er bewertete dies als Flucht aus der Verantwortung und Ergebnis einer geschickten Progaganda. Im augenblicklichen Zusammenhang dient mir dieses Phänomen außerdem zur Vervollstaendigung der Betrachtung menschlichen Verhaltens an teuren Gewissheiten festhalten zu wollen. Der Wert des einmal Gefassten wirkt kontraproduktiv auf unsere lebensnotwendige Faehigkeit adaequat zu denken und zu handeln. Der Asphalt unserer Staedte, der Beton unserer Gebaeude macht die zivilisierte Scheinwirklichkeit fundamental. Erst Naturkatastrophen – Verbrechen und Kriege in aehnlicher Weise – wecken das Grauen vor dem Verlust unserer Gewissheiten.
Verwandeln von Gewissheiten in Annahmen und Praesenz
Menschen duerften den Blick fuer die Realitaet verlieren, wenn sie an Gewissheiten unbeirrt festhalten moechten. Letzteres praegt aus meiner Sicht das Schicksal Einzelner und ganzer Kulturen genauso wie das Schicksal von Metaphysikern, die sich als Philosophen bezeichnen, aber laengst den menschlichen Boden unter ihren Fueßen verloren haben, waehrend sie aus alter Gewohnheit nach letzten Gruenden, also nach unwandelbaren Gewissheiten suchen. Dass wir ueber derartige Vorhaben nicht mehrheitlich in schallendes Gelaechter ausbrechen, duerfte ein Indiz dafuer sein, wie nah vielen von uns das Beduerfnis nach letzten Gewissheiten sein duerfte. Metaphysiker gehen beispielhaft voran: Sie stuerzen sich denkend in Abgruende, woraus sie sich in den quasi-religioesen Glauben ihrer Erkenntnisse retten. Menschliches Leben aber kann nicht mehr als voruebergehende Gewissheiten schaffen. Um unser ‚handeln‘ adaequat vollziehen zu koennen, scheinen mir kurzlebige Gewissheiten voellig ausreichend. „Jeder Schritt ist der erste!“ lautet ein Koan aus Rolf Reinholds Philosophie. Gewissheiten sind ihm unbekannt. Er geht konsequent von Annahmen aus. Mein lange verstorbener Metaphysiklehrer meinte: „Es kommt auf die Gegenwart an.“ Gegenwart war fuer ihn jeder einzelne, kleinste Jetztpunkt (Augenblick) einer langen Reihe von Jetztpunkten und einzig wirkliche Ort menschlichen Handelns und Nachdenkens, der sich beim Tun verfluechtigt.
Also kann ich meiner Selbst vorübergehend gewiss sein…(?) oder gibt es Gewissheiten die ich immer habe?
Ist es nicht ein Paradoxon sich dessen gewiss zu sein, dass Gewissheit nicht gewiss ist?
Es reicht vielleicht nicht aus das Wort Gewissheit polemisch mit Verabsolutieren gleichzusetzen….
Sprache scheint auch Schicksal zu sein: „nomen est omen“. Es könnte vermutlich nützlicher sein, von Annahmen statt von Gewissheiten zu reden, wie dies Rolf Reinhold tut.
Ich experimentiere zur Zeit mit alltagsgebräuchlichen Bezeichnungen, um im Kontext von Unschärfen und Mitbedeutungen herauszufinden, wie weit ich damit beim ‚physistisch-philosophieren‘ im Gedankenaustausch mit anderen und für mich komme. Kommentare – so auch deiner – sind dabei sehr hilfreich.
Ich habe im Artikel „Gewissheiten“ eigentlich als Synonym für „Annahmen“ verwendet. Die Bezeichnung „Gewissheiten“ scheint aber eher zu verwirren, als für Klarheit zu sorgen. Für dich ergeben sich Pardoxien. Für mich nicht, weil ich ‚Gewissheiten‘ synonym für ‚Annahmen‘ verwendet habe und ich deshalb andere Vorstellungen daran knüpfen kann.
Es interessiert mich, was du mit „Selbstgewissheit“ bezeichnest.
Kleine Anmerkung, auch wenn du es offensichtlich nicht mit Erkenntnis – und Erkenntnistheorien hast, aber diese Zitat passt doch in den Kontext:
Zum Thema Selbstgewissheit: Ich bin mir meiner selbst gewiss, denn ohne diese Gewissheit wäre m.E. mein Dasein völlig ad absurdum geführt.
Der Gedanke gehört zum Kontext. Bloß wie? Hier der stümperhafte Versuch einer Annektion: Wörter sind für mich Schallereignisse und beziehen sich auf das, was man sensorieren kann. Begriff hängt irgendwie mit begreifen zusammen und könnte sowas wie ein Abstraktum sein. Im Moment halte ich Abstrakta für so was wie Sammelbezeichnungen. Wille könnte eine Hypostasierung sein: ‚hypostasieren‘ ist ein in westlichen Kulturen übliches Sprachverhalten, das dazu führt, dass ‚handeln‘ aus dem Blickfeld verschwindet. Wille könnte auch der Vermutung Ausdruck geben, dass wenn ‚ICH schreiben will‘ dahinter eine unsichtbare Kraft steht, die mich lenkt? So gesehen, wäre ‚wollen‘ aus meiner Sicht möglicherweise dem Impuls eines neuronalen Aktivitätsmusters vergleichbar, dem ICH folgen kann oder auch nicht. Meine Impulse lenken mich, stärker als ich manchmal zugeben möchte. Wer will heutzutage schon gern für abhängig gelten? Ich kann immer erst nachbessern – wenn meine Impulse mal wieder dysfunktional wirkten – und mir sagen: Das nächste Mal könnte ich das so und so machen.
Selbstgewissheit ergibt sich für mich aus meinem Spiegelbild, daraus dass andere mit mir sprechen, dass ich nass werde, wenn ein Auto unmittelbar neben mir durch eine große Pfütze fährt, dass ich meine Zähne putze …Alles ‚handeln‘ mündet in Vorstellungen von mir selber. Sie zeigen insgesamt eine Bandbreite unterschiedlicher Verhaltensweisen, die zu mir gehören. So was wie ‚mich selbst‘ konnte ich bisher nicht finden. Erfindungen über mich gibt es schon. z.B. Werte und Einstellungen, die ich handelnd pflege.
Mh, ich kommentiere mal ein wenig, was mir gleich auffällt…
Das ist richtig, doch nur ein Teilaspekt. Die Wörter die du schreibst sind keine Schallereignisse, die Wörter die ich denke sind keine Schallereignisse. Zudem sind Füllwörter und logische Begriffe nicht sensorierbar (Ein „und“ kann ich max. als Schallereigniss sensorieren, was unweigerlich zu einem paradox führt)
Deine Einschätzung zum Willen kann ich im Grunde nachgehen, es ist etwas verzwickt über den Willen nachzudenken, da es den Willen auf mehreren Ebenen zu geben scheint und es enge Verknpfungen zu „soll“,“muss, „darf“, „kann“ und vorallem „handeln“ zu geben scheint. Zudem ist der Wille etwas, was sich einschließt (ich nenne das gern: das sich-selbst-begrenzende-Phänomen), ähnlich wie das denken: Ich kann nicht, wollen: nicht zu wollen && Ich kann nicht, denken: nicht zu denken.
(Die komische Zeichensetzung soll dem Verständnis dienen)
Ich finde diese Sichtweise durchaus interessant, die sie hier an den Tag legen, bin mir aber unschlüßig wie ich es interpretieren soll. Ich fasse die Argumente zusammen und kommentiere ein wenig:
1) Sie vergleichen neuronale Muster mit „wollen“. D.h. im Grunde sagen Sie „wollen“ ist von neuronalen Mustern unterschieden, besitzen aber eine Ähnlichkeit (den Impuls).
Sie verlassen die Biologie zugunsten einer Analogie, ohne zu benennen wie das „wollen“ nun eigentlich einzuordnen ist. Im Übrigen ein Fakt der mich schon vor Jahren bei Luhmann faziniert hat (Luhmann löst das Paradox recht (ver)einfach(t) mit der „Einheit der Differenz“).
2) Das Ergebnis dieser Analogie (dieses Impulses, des „wolllens“) ist offen, und immer(!) richtig, also im Grunde besitzt es einen tautolgischen Charakter hat: „ich kann folgen oder auch nicht“.
D.h. im Grunde ist das Ergebnis nicht entscheident, nicht relevant. Es muss zurückspiegeln, denn wenn das Ergebnis egal ist, rückt die Verursachung (und der Prozess) in den Mittelpunkt, ohne die es diese Ergebnis nicht gegeben hätte.
3) So sind wir wieder bei der Analogie des Impulses, der – trotz Ergebnisoffenheit – „uns lenken“.
Es ist also nicht wichtig, was wir wollen, noch ob dieser Wille umgesetzt wird – sondern nur, dass dieser das Ergebnis auf sich selbst reflektiert, sich selbst spiegelt und so reflektiert und etv. geändert werden kann.
Im letzten Punkt werden zwei wichtige Dinge implizit angesprochen: die Zeitlichkeit und der Mensch als narratives Wesen (es lohnt über beides nachzudenken).
Der Wille ist in dieser Sichtweise nicht zielorientiert, sondern einschränkend durch seine Gerichtetheit – damit wäre eine Analogie zur Intentionalität besser, oder?
(Ich lasse jetzt mal den Begriff, der begriffen werden muss weg, das führt uns in die Hermeneutik. Es wäre interessant zu sehen wie sie eine Hermeneutik phyisitisch-philosophisch angehen würden..)
Zum eigentlichen: Selbstgewissheit.
Ich denke sie laufen einem Phänomen auf, welches nicht so einfach zu beschreiben ist und an dem sich schon so einige Philosophen die Zähne ausgebissen haben.
Selbstgewissheit kann nicht aus einem Spiegel entstehen, weil es sonst nichts gäbe was gespiegelt wird.
Sie entwerfen in dieser Form ein Handeln ohne Subjekt, ohne ein Selbst, es ist schwer das in Worte zu fassen, pramatisch würde ich sagen: wer soll den handeln, wenn das handeln auf mich verweist, der da anscheinend nicht gehandelt hat, denn sonst wäre dieses ich die basis der handlung, welcher sich aber doch nur gespiegelt existiert.
Selbstgewissheit ist m.E. der Begriff der fassen soll, dass es vor der Handlung ein Selbst gibt, auf welche die Handlung dann wirkt. (wo wir einmal bei Analogien sind: Mead fasst das als Me und Self, Sartre als reflexives und präreflexives Bewusstsein)
„ein Handeln ohne Subjekt“ halte für eine zutreffende Aussage über das, was ‚physistisch philosophieren’ von traditioneller Philosophie bzw. Metaphysik unterscheidet. Subjekt scheint mir ein bloßes Abstraktum ohne konkrete Basis. Abstrakta gibt es in der Physistik auch, doch sie sind letztlich immer auf etwas Sensorierbares bezogen. Wörter z.B. sind alle Schallereignisse (Lippengeräusche), also sensorierbar. In einem Gespräch sind sie gemeinsam sensorierbar. In einem schriftlichen Austausch – wie wir ihn gerade betreiben – sind sie lesbar: also auch gemeinsam sensorierbar. Aber – und hier ist ein weiterer Unterschied zur metaphysischen Philosophie – Assoziationen und damit die Bedeutungen von Wörtern sind nur für ein bestimmte Person sensorierbar. Ein anderer kann diese individuellen Assoziationen und die daran geknüpfte Bedeutung weder haben noch nachvollziehen. Übrigens dürften auch logische Verknüpfungen sensorierbar sein: Die logische Vorstellung für ‚und’ könnte die Bezeichnung für das Zusammenstellen von konkreten Gegenständen sein. Das aber nur nebenbei.
Physistisch wird auf das Subjekt verzichtet, weil sensorierbare Phänomene (eigenen und interindividuellen) Gegenstand des ‚philosophieren’ sind. Reflexionen des ‚handeln’ beziehen sich stets auf eine Reihe von Phänomenen, die einer ganz bestimmten Person zuzuordnen sind. Diese Person kann mit dem Kunstwort ICH bezeichnet werden, das Rolf Reinhold erfunden hat. ICH bezeichnet einen bestimmten Körper mit allen seinen Prozessen und neurophysiologischen Aktivitäten und ist ein Name, der durch weitere Namen näher bezeichnet werden kann.
Es ist mir klar, dass das Ausgehen von konkreten Phänomenen ‚normalerweise’ Probleme schafft. Normalerweise wird in der Philosophie bzw. Metaphysik ausschließlich von Theorien ausgegangen. Dazu gehören ‚Subjekt’, ‚Selbst’ ‚Gewissheit’, ‚Wille’, ‚Intentionalität’ und vieles andere mehr. Mit diesen Theorien werden Menschen seit Jahrhunderten Angebote zum Steuern ihres Handelns gemacht. Diese Theorien sind unsere kulturellen Selbstverständlichkeiten. Das, was selbstverständlich ist, wird unbefragt verwendet.
Schon vor Jahrhunderten haben Philosophen wie Hume und in Deutschland u.a. Ulrich und Lossius, ganz zu schweigen von Naturwissenschaftlern (Ernst Mach z.B.) den Finger in die Wunde gelegt, die ‚physistisch philosophieren’ zum ‚heilen’ bringen kann. Nämlich davon ausgehen, wie Menschen handeln und wie sie dieses optimieren können. Normalerweise gehen Handlungstheorien oder Menschenbilder davon aus, wie Menschen handeln sollen oder könnten.
Übrigens: Ich habe nichts dagegen, wenn wir beim ‚du‘ bleiben.