Jeder Mensch braucht sich und seine Beduerfnisse

Dies ist ein erster Bericht ueber mein gegenwaertiges Projekt Georges Bataille (1897-1962). Ich beziehe mich dabei im Moment auf das, was andere ueber Bataille geschrieben haben und auf wenige kurze Orginaltexte aus diesen Lektueren.

André Breton hat ihn verspottend einen Exkrementenphilosophen genannt. Breton war in der ersten Haelfte des 20. Jahrhunderts Fuehrer der surrealistischen Bewegung. Bataille war und fuehlte sich in den zwanziger Jahren dieser Bewegung zugehoerig. Breton betrachtete Bataille spaeter als Gegner der surrealistischen Bewegung. Ihm schwebte eine Bewegung vor, deren Charakter sich einerseits durch die Vielfalt neuartiger, kuenstlerischer Ausdrucksmittel entwickeln sollte, sich aber andererseits in grundsätzlichen Bereichen festzulegen hatte. Letzteres vor allem gab immer wieder Anlaesse fuer folgenreiche Auseinandersetzungen unter den Mitgliedern der surrealistischen Bewegung. Diese Anlaesse forderten auch den Widerspruch Batailles heraus und er vertrat seine eigenen Vorstellungen.

Batailles Schriften als Exkrementenphilosophie zu bezeichnen halte ich erst einmal fuer zutreffend, auch wenn ich die den Autor verspottende Namensgebung irgendwie anders auffasse. Bataille thematisierte in seinen Schriften das, was in der christlich-buergerlichen Kultur seiner Zeit ausgeschieden wurde. Letzteres nennt er auch das Heteronome. Dies laesst sich sowohl in seinen obszoenen Schriften, als auch in seiner Oekonomie nachlesen. Ich denke, es gibt keine Schrift von ihm, in denen er dieses Anliegen verlassen hat. Irgendwann hatte er entschieden, dass mit Worten niemand und nichts kommuniziert und veraendert werden kann. Er lehnte es auch deshalb ab, sich revolutionaer zu betaetigen, wie Breton es wollte. Es ging ihm dann darum, davon zu erzaehlen, was verfemt wird, d.h. verschwiegen und abgewertet wurde. Diese Pertubationen sorgten und sorgen heute noch fuer internationale, wissenschaftliche Aufmerksamkeit. In seiner Oekonomie schrieb er ueber seine Sicht auf Zusammenhaenge, wie Menschen in einer Gesellschaft oekonomisch handeln koennten, die Verfemtes, bzw. das ihr bislang Fremde (heteros) mit einbezieht. Statt den Menschen der Sache Produktion zu unterwerfen – so die fuer mich zentrale These seiner Allgemeinen Oekologie -, solle der Mensch im Interesse aller seinen Beduerfnissen gemaesz handeln. Dieser Maszlosigkeit kann der menschliche Bios im gemeinschaftlichen Handeln Orientierung geben und einen entsprechenden Gebrauch der Ressourcen ermoeglichen.

B. dramatisierte dieses Thema in der Schrift Der Begriff der Verausgabung (1933) – ich uebersetze den Titel lieber mit Die Idee des Verbrauchens. Er erlaeuterte diese Idee an einem bekannten Generationenkonflikt. Der Sohn geht seinem Vergnuegen nach. Der Vater greift korrigierend ein, obwohl er sich selber aehnliches unkritisch zubilligt. Er moechte, dass der Sohn sich nuetzlichen Dingen widmet. Damit solle – so Bataille – erreicht werden, dass die nachfolgende Generation sich in der homogenen Welt der Verantwortung bewegen lernt und ihre Individuen respektable, bzw. respektierte Mitglieder der Gesellschaft werden. Dieser Konflikt beruhe auf dem Sachverhalt, dass ausgeschieden wird, was nicht in die Idealitaet der Theorie passt und deshalb auch in der Praxis als verfemt gilt. Verbrauchen erhaelt daher die Bedeutung von Verschwendung.

Bataille holte die Umsetzung von Theorien in die niedere Materie, die nach seiner Auffassung nicht von den ontologischen Maschinen (wie Wesen, Substanz, Wahrheit) erfasst werden kann. Letztere gehen von fertigen bzw. richtigen Antworten aus. Sie sind nicht in der Lage umfassende, handlungsrelevante Rahmen zu erzeugen, die Menschen helfen, neue philosophische Sichten zu erfinden. Wer kann denn schon sagen, was nuetzlich ist? Wer kann sagen, was moralisch ist? Wer kann sagen, was der Mensch ist? Die traditionellen, klassischen Antworten erzeugten geschlossene Systeme, deren Folgen – vor allem im Hinblick auf eigene Erfahrungen, aber auch auf die Natur, auf Ressourcen, und soziale Fragen – das in ihnen nicht Vorkommende hervorrufen, und so verstoerend und aufruehrerisch wirken. Homogenes ruehrt so Heterogenes auf, Gleichbleibendes ist mit Flieszendem verbunden, Ethisches bestimmt sich gegen das Boese, Moralisches grenzt an Obszoenes, Ordnung wird durch Aufruhr heimgesucht … etc.

Der von Bataille als sein philosophischer Lehrer geschaetzte Léon Chestov schrieb in Abgrenzung zum Idealismus: „Uns bleibt einzig noch die Willkuer. Es ist gut moeglich, dass dieses Wort in seiner Aufrichtigkeit die Gunst der anspruchsvollen Geister erlangt, die an den Rechten des kritischen Verstandes zweifeln …“*

*Leo Chestov: La Philosophie de la tragedie. Paris 1926, S. 5. Zit. B. Michel Surya: Die Willkuer, après tout. Von der ‚Philosophie‘ Leo Chestovs zur ‚Philosophie‘ Georges Batailles. In: Andreas Hetzel & Peter Wiechens (Hg): Georges Bataille: Vorreden zur Ueberschreitung. Wuerzburg 1999, S.15.

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Bei Hetzel und Wiechens habe ich Anregungen zu meinem Text gefunden. Aber auch bei:

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