Sprechen wird oft nicht schön gefunden,
weil es stets mit Geräusch verbunden.
Die Bezeichnung ‚Lippengeraeusche‘ habe ich zum ersten Mal in Axel Brauns Buch BUNTSCHATTEN UND FLEDERMAEUSE gelesen. Axel Brauns bezeichnet sich selber als Autist. In BUNTSCHATTEN UND FLEDERMAEUSE beschreibt er den ersten Teil seines bisherigen Lebens. Das was den meisten Kindern scheinbar muehelos gelingt, war fuer ihn eine taegliche muehevolle Herausforderung. Mit ‚Lippengeraeuschen‘ charakterisiert er Sprache als Geraeusch.
Geraeusche sind m.E. begleitende Ereignisse von Bewegungen. Menschen lernen Geraeusche zu unterscheiden und sie bestimmten Bewegungen zuzuordnen. Lippengeraeusche und die sie begleitenden Bewegungen der Lippen, Mimik, Gestik duerften von Saeuglingen sensoriert werden. Sie produzieren eigene Lippengeraeusche und Eltern antworten darauf mit Sprache und kontextuellen Bewegungen. In Familien wird es in der Regel als beruehrendes Ereignis erlebt, wenn im Vollzug dieser Art von Kommunikation der kleine Mensch das erste ‚richtige‘ Wort von sich gibt. Wie dieses erste ‚richtige‘ Wort entstehen kann, ist den Fachleuten nicht klar. Doch man kennt viele Umstaende, die begleitend auftreten, wenn Sprechenlernen nicht in der ueblichen Weise geschieht. Im Rahmen dieser Kenntnisse koennen Theorien ueber moegliche Ursachen und Therapiekonzepte entwickelt werden.
„Woerter sind Schall und Rauch.“ ist ein bekanntes gefluegeltes Wort. Solche ‚Fluegelwoerter‘ sind wie Voegel, die vorbei fliegen und es in sich haben. Unsere asiatischen Nachbarn nennen Vergleichbares ‚Koan‘ – Raetsel. Das Wort ‚Lippengeraeusche‘ ist noch wenig im Umlauf, aber es thematisiert wie ‚Woerter sind Schall und Rauch‘ das Raetsel unserer ‚richtigen‘ Woerter. Sind ‚richtige‘ Woerter dann im Gebrauch, wenn wir sagen, dass wir uns verstehen? Benutzen wir ‚falsche‘ Woerter, wenn wir uns nicht verstehen?
Wie merke ich, ob ich ‚richtige‘ oder ‚falsche‘ Woerter benutze? Man sagt: „Danke, Sie haben die ‚richtigen‘ Worte gefunden.“ oder man sagt: „Da habe ich was Falsches gesagt!“ und meint nicht, dass man sich geirrt habe. Es duerfte demjenigen, der die ‚richtigen‘ Worte gefunden hat, schwer fallen zu sagen, wie er sie gefunden hat und wie es kommt, dass seine Worte, die ‚richtigen‘ waren. AEhnlich duerfte es dem zweiten gehen, entsprechende Fragen nach dem Wie und Woher seiner ‚falschen‘ Worte zufrieden stellend zu beantworten. In der Regel werden z.B. Erklaerungen folgender Art gegeben: ‚einfuehlsam‘ sei der eine, ‚unsensibel‘ der andere.
UEber Autisten wird gesagt, sie seien nicht faehig, ‚richtig‘ zu kommunizieren. Axel Brauns erzaehlt in seinen BUNTSCHATTEN UND FLEDERMAEUSEN von vielen Situationen wo er in ‚Fettnaepfchen‘ getreten ist. Ich habe mich gefragt, was ist mit unserer Kommunikation los, dass wir ueberhaupt in ‚Fettnaepfchen‘ treten bzw. ‚Falsches sagen‘ koennen, ohne uns in der Sache zu irren?
Vorlaeufig kam ich – unter Einbeziehung meiner Kommunikationserlebnisse – zu dem Ergebnis: Kommunikation duerfte eine Reihe von Implikationen enthalten, die Fußangeln fuer jeden sind, der diese Implikationen – aus welchen Gruenden auch immer – nicht bemerkt oder sie nicht akzeptieren moechte. Daraus koennte man schlussfolgern, dass Fettnaepfchentreter entweder ahnungslos sind oder einfach anderer Meinung. Reicht das aus um sie als ‚unsensibel‘ oder als ‚unfaehig‘ zur Kommunikation zu bezeichnen?
Axel Brauns findet man unter http://www.axelbrauns.de/ http://www.krinkland.de/forum/
prosaisches ‚philosophieren‘
Sage ich „Tisch“
verbinde ich damit Erinnerungen an den Tisch meiner Kinderzeit.
Dieser war ein „striptease-table“, d.h. man konnte ihn ausziehen.
Die zusaetzliche Flaeche kam ueberraschend zum Vorschein,
wenn man an seinen schmalen Seiten zerrte.
Genauso ueberraschend verschwand sie wieder.
Fuer mich muessten alle Tische ausziehbar sein.
Das Wort „Tisch“ passt fuer mich am besten zu einem Ausziehtisch.
Ich habe immer wieder Ausziehtische gehabt.
Gelernt habe ich, dass andere Tische anders sind.
Doch die Lippengeraeusche sind dieselben.
Wir Menschen sind pragmatisch.
Wir kennen nur einzelne Tische und schaffen es auf wundersame Weise andere Tische als Tische zu bezeichnen. Ich vermute, das gelingt, weil das, was andere mit Tisch bezeichnen, AEhnlichkeiten mit meinem Tisch hat. Wir mustern andere Tische und entdecken Muster unseres eigenen Tisches. So entstehen Verallgemeinerungen und allgemein gebraeuchliche Bezeichnungen, die immer wieder indviduelle Vorstellungen implizieren.
„Die Mehrdeutigkeit jedes einzelnen Wortes wird durch kein Ganzes vorher gemildert oder gedeutet, und so kann am Ende kein Ganzes entstehen.“ Fritz Mauthner: Wesen der Sprache.Beitraege zu einer Kritik der Sprache: Erster Band(1906) Kapitel VI: Wortkunst http://www.textlog.de/18942.html