„Hinsehen und NOCH EINMAL genau hinsehen …“
„Die von mir in den letzten drei Jahren ausformulierte Philosophie hat sich aus MEINEM ‚genau hinsehen‘ entwickelt …“, erlaeutert Rolf Reinhold.
‚hinsehen‘ kennt jeder
Als Kinder haben wir es vermutlich alle praktiziert. Wenn ein Kind herausfinden moechte, ‚was man mit einem Ding machen kann‘, ‚was passiert, wenn …‘, ‚wie mache ich das‘, ‚wie geht das‘, ‚wie kommt es, dass …‘, ‚wie machen andere das‘, dann nimmt es das Ding in die Hand und betrachtet es, betastet es, nimmt es in den Mund‘, rollt es, laesst es fallen, wirft es …. Ein Kind sieht zu, wie andere etwas machen, findet heraus, wie etwas funktioniert, …
Ich erinnere mich an Szenen, als ich neben meinen Eltern, Geschwistern, anderen Erwachsenen und Kindern stand und ihnen – wenn sie mich ließen – zusah, bei dem was sie taten. Ich beschaeftigte mich mit Dingen unterschiedlichster Art – einfach so … Ich denke, jeder duerfte sich an aehnliche eigene Taetigkeiten erinnern bzw. sich davon erzaehlen lassen koennen.
Bei meinen eigenen Soehnen konnte ich sehen, wie sie zuerst mit den Augen versuchten alles zu erfassen, was ihre Aufmerksamkeit erregte, wie sie alles in den Mund steckten, was sie greifen konnten, wie sie sich allem naeherten, sobald sie rollen konnten, wie sie krabbelnd die Wohnung, den Garten … durchforsteten, wie sie gehend nichts unbeachtet ließen, was sie anzog.
‚hinsehen und herausfinden‘ – ein Kinderspiel
Taetigkeiten des ‚hinsehen und herausfinden‘ bezeichnen dieselben Kinder spaeter als Erwachsene als Kinderspiel, das sie hinter sich gelassen haben. In unserer Kultur gilt: Erwachsene ‚wissen‘, ‚was man mit einem Ding machen kann‘, ‚was passiert, wenn …‘, ‚wie sie was machen‘, ‚wie etwas geht‘, ‚wie andere etwas machen‘. Sie haben all das gelernt und noch mehr ‚Wissen‘ darueber erworben, spaetestens wenn sie die Schule hinter sich gelassen und ihre Berufsausbildung gemacht haben. Jetzt ist die Kinderzeit endgueltig vorbei, jetzt beginnt das Leben eines Erwachsenen, der sich an seinem ‚Wissen‘ orientiert.
‚hinsehen-herausfinden-wissen‘
Falls dieser Erwachsene nun selber Kinder bekommt, wird er ihnen gern bei ihrem Kinderspielen ‚hinsehen und herausfinden‘ zusehen, es mit ihnen moeglicherweise gern teilen, und ihnen erzaehlen, was er weiß. Er wird seinem Kind sagen – gefragt oder ungefragt -, dass die Sonne jeden Morgen aufgeht, eine heiße Herdplatte gefaehrlich, ein Videogeraet kein Muellschlucker ist, Sueßigkeiten Loecher in die Zaehne machen, dass das Kind von nebenan kein passender Spielkamerad fuer es ist, man mit Messer und Gabel isst, Kinder brav sein muessen, Kinder um 7 ins Bett muessen, Kinder nicht zuviel Eis essen duerfen, Kinder nicht nerven duerfen, der Weihnachtsmann die Geschenke bringt, der Nachbar hoeflich gegrueßt werden muss, alles ordentlich aufzuraeumen ist, man nicht in die Hosen macht, … Die Liste duerfte kein Ende haben, das mir erreichbar waere.
‚wissen vermitteln‘ – eine folgenreiche Pflichtübung
Auch wenn sich nicht alles eindeutig zuordnen laesst – weil aus meiner Sicht, alles Zwischenmenschliche eng vernetzt geschieht – , laesst sich sagen: Das ‚hinsehen und herausfinden‘ des Kindes scheint aus erwachsener Sicht allein nicht auszureichen, um es erfolgreich in unser gemeinsames Leben zu integrieren. Zu den Taetigkeiten des ‚hinsehen und herausfinden‘ muss sich die Vermittlung von ‚Wissen‘ gesellen, wenn man der nachfolgenden Generation einen optimalen Start ermoeglichen moechte. Das notwendige ‚Wissen‘ wird Kindern bereits lang vor der Schule ‚eingetrichtert‘ bzw. ‚vermittelt‘. Kinder muessen doch wissen, was sich gehoert, was erwartet und verboten ist. Kinder muessen lernen, was richtig und falsch ist. Kinder muessen lesen, schreiben, rechnen lernen und noch vieles, vieles mehr.
‚wissen‘ – eine ‚zweite Natur‘
Unser ‚Wissen‘ verknuepfen wir ganz selbstverstaendlich mit dem kindlichen Tun. Nicht nur weil wir fast alle ‚Wissen‘ in dieser Art erworben haben. Es ist wichtig – auch aus meiner Sicht -, dass wir Kindern Anregungen zur Orientierung in unserer erwachsenen Welt geben.
‚Wissen‘ aber wird nach meinen Erinnerungen und Beobachtungen im Allgemeinen von Erwachsenen nicht als Anregung angeboten, sondern Kindern zur UEbernahme auferlegt. Dies duerfte auch damit zusammenhaengen, dass ‚Wissen‘ oft unmerklich im Zuge des alltaeglichen Miteinanders in Familie, Kindergarten, Schule, Berufsausbildung … vermittelt wird. Man nennt dies Enkulturation, die bei jedem Menschen Vorstellungen, Gedanken, Auffassungen auspraegt, die man unter Weltsicht zusammenfassen kann und ueber deren Vor- und Nachteile wir uns keine Rechenschaft mehr ablegen koennen, weil uns die eine Weltsicht zur ‚zweiten Natur‘ geworden ist.
‚wissen‘ hat apriorischen Charakter
„Dieses Wissen ist ein sehr interessantes Wissen, weil es so apriorischen Charakter hat. Weil man nicht weiß, dass man es hat, es aber nachhaltig die Art beeinflusst, wie man wahrnimmt, kann es passieren, dass Menschen – unterschiedliche Vorwissen haben, weil sie in unterschiedlichen Kulturkreisen gepraegt worden sind – die gleichen Sachverhalte sehr unterschiedlich wahrnehmen, … und dann nicht mit sich darueber diskutieren lassen koennen, dass jemand anders es anders wahrnehmen koennte.“ Wolf Singer: Hirnforschung – Bruecke zwischen Natur und Humanwissenschaften. Vortrag an der Universitaet Muenchen am 22.11.2007
‚hinsehen‘ – ‚zu den Sachen‘ – ‚kulturneutral‘
Der GrundSatz Rolf Reinholds HINSEHEN, HINSEHEN UND NOCHMAL HINSEHEN ist – abgesehen davon, dass dies fuer ihn der Ursprung seines ‚philosophieren‘ war und ist – von der Art, dass er auch so etwas wie ‚back to the roots‘ thematisiert und richtungsweisend ‚hin zu den Sachen‘ fungiert. Wenn es zutrifft, dass ‚hinsehen und herausfinden‘ von Geburt an menschliche Taetigkeiten bezeichnet, dann kommen wir beim ‚hinsehen‘ moeglicherweise zu dem, was verborgen hinter unserer ‚zweiten Natur‘ liegt. Rolf Reinhold nennt es ‚Urmenschliches‘ und bezieht darauf eines der charakteristischen Merkmale seines ‚ philosophieren‘, naemlich ‚kulturneutral‘. Ob letzteres moeglich ist, kann von jedem ueberprueft werden, der sich hinsehend auf die Sachen einlaesst.
‚hinsehen‘ – ’sensorieren‘ – ‚lernen‘
HINSEHEN duerfte auch gemaeß neurophysiologischem Kenntnisstand wirken. Denn ‚hinsehen‘ heißt ’sensorieren‘ (= wahrnehmen) Und ’sensorieren‘ heißt fuer ‚physistisch philosophieren‘: ‚wahrnehmen‘, wovon nachdenkend, reflektierend und schlussfolgernd ausgegangen werden kann. Unsere Physis verfuegt dazu ueber die notwendigen Komponenten und Verbindungen: „Unsere Faehigkeit die Welt zu meistern, steckt in den synaptischen Verbindungen zwischen den Nervenzellen…“(Manfred Spitzer: Lernen. Heidelberg 2009, S. 77.)
‚hinsehen‘ – die ‚biologische Ausrüstung‘ spielen lassen
Es scheint ein weiteres zutreffendes Ergebnis naturwissenschaftlicher Forschungen zu sein, “ …, daß die ‚biologische Ausruestung‘ des Menschen fuer den Kontakt mit der Umwelt physiologisch so organisiert ist, daß durch ihr bloßes Spielenlassen ohne ‚aktives Dazutun‘ die Moeglichkeit zu unmittelbarem Kontakt gesichert ist. … Durch die Bereitschaft, sich beim Studieren und Vergleichen von Fakten und Zusammenhaengen ‚ansprechen‘ zu lassen (‚es geht einem ein Licht auf‘, ‚es faellt einem etwas ein‘), wird eine grundsaetzlich andere Arbeitsqualitaet entwickelt und kommt man weiter als durch ‚bohrendes‘, angestrengtes Suchen.
Das gleiche trifft fuer alle Denkprozesse zu: Das Bewußtwerden-Lassen von Vorgaengen und Zusammenhaengen, das Zueinander-in-Beziehungkommen-Lassen von Erfahrungen und Eindruecken leistet etwas grundsaetzlich anderes als Gewandtheit im Begriffe-Kombinieren, als Wiedergabe und Kombination von Auswendiggelerntem, als ‚Gruebeln‘, ‚Nachdenken‘ und Spekulieren.“ *
* Heinrich Jacoby: Jenseits von „Begabt“ und „Unbegabt“. Zweckmaeßige Fragestellung und zweckmaeßiges Verhalten. Schluessel fuer die Entfaltung des Menschen. Hrsg. Sophie Ludwig. Hamburg (Christians-Verlag) o.J., S.12 u.14.
Informationen ueber Heinrich Jacoby und seine Arbeiten bei der Jacoby-Gindler-Stiftung und beim Schweizer‚Arbeitkreis Jacoby-Gindler‘ .
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