Batailles heterogenes ‚philosophieren‘

Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Philosophie zu einer ganz bestimmten Philosophie verfestigt. Ihre Vertreter sehen sich als Hueter eines Denkens, das sie als abendlaendisch charakterisieren. In der Gegenwart kann man lesen, dass es in der Philosophie vor allem um Begriffe (Wolfgang  Roed) geht oder um den Geist (Ansgar Beckermann) oder um die Sprache (Analytische Philosophie) geht. Alle diese Philosophen philosophieren rueckwaertsgewandt: Sie gehen davon aus, in einer Tradition zu stehen, die ihnen die Mittel fuer ein ‚richtiges‘ Philosophieren zur Verfuegung stellt und die es ihnen ermoeglicht, philosophische Texte angemessen zu interpretieren. Bei meinen philosophischen Forschungen vor allem ueber Hume, Berkeley und Bacon, aber auch Mach, Wahle und Mautner ist mir immer wieder aufgefallen, dass Philosophen so etwas wie eine im Studium erworbene Lesebrille aufhaben und nur noch das in Texten finden, was diese Brille ihnen sichtbar macht. So z. B. bei Hume, dem eine neue Kausalitaetstheorie zugeschrieben wird, waehrend er davon ausgeht, dass die angeblich beobachtbare Kausalitaet eine Folge menschlichen Verhaltens ist, die er als Gewohnheit bezeichnet. Es freut mich, wenn z. B. Poststrukturalisten mit Neuem experimentieren.

„Wie kann sich einer ausdruecken, der die Philosophen zum Schweigen bringt, wenn nicht auf eine Art, die sie nicht begreifen?“ (Bataille: Anmerkungen zum Vorwort zu Madame Edwarda (1941). In: Das obszoene Werk. Hamburg 1972. S. 62.) Dies ist das Dilemma eines Philosophen, der auszerhalb der universitaeren Philosophie philosophiert. Hume’s Rezeption hat sein praktizierter konformer Sprachgebrauch nichts genuetzt. Haeufig wurde und wird sogar beklagt, dass er viele Worte um ’nichts‘ mache, waehrend er erlaeuterte, was er sich bei seinen Worten dachte. Die Frage, ob viele Philosophen ueberhaupt begriffen haben, was Hume thematisiert, wird nicht gestellt. Dies frage ich mich bei Batailles Rezeption auch des öfteren.

Bataille stellte aehnliches fest und „… wirft der traditionellen Philosophie vor, dass sie … Grenzerfahrungen, wie sie etwa in der Erotik oder in Rausch- und Traumzustaenden gemacht werden, ausschlieszt. Er bezweifelt die Berechtigung solch eines Philosophierens, ‚das den intensivsten Gemuetsbewegungen fremd gegenuebersteht‘. Bataille sieht im herkoemmlichen philosophischen Diskurs den Ausdruck der ‚profanen, homogenen Welt‘, … .“  Nikolaus Halmer

Die homogene Philosophie, wie die homogene Kultur überhaupt, weigert sich, das mit einzubeziehen, was ihr fremd, d.h. heteronom zu sein scheint. Bataille entwarf eine Allgemeine Theorie der Oekonomie, das Zusammenspiel von Homogenem und Heteronomem wirksam im Interesse aller Menschen, die Gegenstand des philosophischen Gedankenaustausches sein könnte .  Die gegenseitige “ … Befriedigung von Beduerfnissen … spielt eine bedeutende Rolle im Leben. … [es] liegt etwas Unheimliches in der Verachtung, die die deutsche Ethik zugunsten eines ‚unbefleckten Idealismus‘ ueber dieses pragmatische Denken ausschuettet. Der kategorische Imperativ Kants rufe bei ihm – so Dewey bereits 1914 – das Bild eines Kasernenhof-Korporals wach. (Dewey: Deutsche Philosophie und deutsche Politik. Wien/Berlin 2000, S.112f.)

Bataille machte sich zum Fuersprecher menschlicher Beduerfnisse, ungeachtet der Tatsache, ob sie akzeptiert oder verfemt wurden. Er war in einer Welt aufgewachsen, in der das Verfemte und seine Folgen wie die Syphilis seines Vaters, sowie der Tod, sein Erschrecken und Gewalt zum Alltag gehoerten. Dies schloss die Batailles von der homogenen Kultur aus. Es nuetzte ihnen nichts, sich um Akzeptanz zu bemuehen. Erst die surrealistische Bewegung hat es dem juengsten Bataille ermoeglicht, mit Einschraenkungen „dazu zu gehoeren“.

Wer sich im Besitz der Wahrheit glaubt, …

moechte ‚recht haben‘, moechte ‚beweisen‘, dass nur seine Sichtweise die ‚richtige‘ ist. Gegen andere Sichtweisen muss er sich verwahren. Skeptische Philosophen koennen Irrtuemer einraeumen. Sie gingen und gehen davon aus, dass ‚richtig‘ und ‚wahr‘ Kriterien sind, ueber die niemand verfuegt – auch sie nicht. Fuer Skeptiker ist ‚recht haben wollen‘ und ‚beweisen wollen‘ eine Art Sackgasse. Fuer sie folgt aus ihrer skeptischen Praxis des Hinsehens, ’sich eines abschlieszenden Urteils zu enthalten‘. Jedes Hinsehen ergibt in aller Regel immer wieder einen neuen, bzw. etwas anderen Aspekt, auch wenn der neue sich nur minimal von dem Vorhergehenden unterscheidet. Diese durch Hinsehen entstehende Vermehrung von Unterschieden macht die Differenziertheit und die Qualitaet von Sichtweisen aus, die jeder autonom erheben kann. Dies zeigen z. B. Aeuszerungen von Menschen ueber die unterschiedlichsten Lebensbereiche, in denen sie professionell taetig sind bzw. waren.

Der Rat ‚immer wieder hinzusehen‘ fuehrte bereits in der Antike zu Missverstaendnissen. Viele Zeitgenossen des Pyrrhon – allen voran die Stoiker – stieszen sich an der Idee der Enthaltung und unterstellten dem, der dieser Idee folgte, dass er lebensuntuechtig sein muesse. Sie gingen zurecht davon aus, dass jeder Mensch handeln muss. Sich eines Urteils zu enthalten, schien ihnen unmoeglich. Dies entspricht durchaus dem, was skeptische Philosophen sowie Neurowissenschaftler inzwischen annehmen: „Unsere physiologische Natur bestimmt nach Gesetzmaeszigkeiten, die wir nicht kontrollieren koennen, dass wir gar nicht anders koennen, als Urteile zu faellen, so wie wir automatisch atmen und wahrnehmen“ (Hume Treat. I,4,1,7.) Daraus zu folgern, dass die Notwendigkeit des momentanen ‚handeln‘ und ‚urteilen‘ dauerhafte Urteile notwendig mache, ist das seit Jahrhunderten gebraeuchliche explizite und implizite Missverstaendnis, das Skepsis abwehrte, sie ungeeignet fuers Philosophieren hielt und Skeptiker der Laecherlichkeit preisgab. Ueber den in vielen Feldzuegen erprobten Pyrrhon wurde u. a. die Laecherlichkeit erzaehlt, dass er nur in Begleitung einer Magd sein Haus verliesz, um wieder nach Hause zu finden. Menschenwissenschaftler unter den Philosophen – wie Hume – bemuehten sich ohne groszen Widerhall darum, dieses Missverstaendnis auszuraeumen: „Niemand duerfte je einen so laecherlichen Menschen getroffen oder mit einem verkehrt haben, der handelnd oder forschend keiner Vorstellung bzw. keiner Annahme ueber das gefolgt waere, was er zu erreichen hoffte.“ (Hume, Enquiry, XII, 2.)

Handlungsbeduerfnisse, die aus menschlichen Grundbeduerfnissen entstehen, sind in der metaphysisch orientierten Philosophie nicht gruendlich mitbedacht worden. Kant z. B. hat Kritik anderer an der praktischen Mangelhaftigkeit seiner Ethik stets abgewehrt und darin keinen Anlass gesehen, sein apriorisches Konzept zu ueberpruefen, bzw. es zu revidieren. (Vgl. die Meinungsverschiedenheiten zwischen Kant und Ulrich. Kant: Metaphysische Anfangsgruende der Naturwissenschaften. In: Akademieausgabe von Kants gesammelten Werken, Bd. IV, S. 474/6. Christian Jakob Kraus: Rezension zu Ulrichs ‚Eleutheriologie‘, In: Akademieausgabe von Kants gesammelten Werken, Bd. VIII, S. 451ff.) Diese strukturell vorhandene Abwehr in der Philosophie gegen die Beschaeftigung mit Konkretem hat ‚philosophieren‘ in Verruf gebracht. Die Philosophie, so wie sie sich noch heute mehrheitlich als ‚Analytische‘ praesentiert, stoeszt einen eigenstaendig philosophierenden Jedermannphilosophen vor den Kopf. Ich frage mich dabei nach dem Interesse dieser Philosophen und dem Nutzen dieses Philosophierens.

Jahrhundertlange Uebungen in Wahrheitsdiskussionen, die man um der Wahrheit willen fuehrte, haben ferner dazu gefuehrt, dass skeptisches Philosophieren in Skeptizismus umgemuenzt wurde. Die Bedeutung „zweifeln“ beherrscht bis heute die entstellende neuzeitliche Auffassung der Skepsis. ‚Zweifeln‘ war keine Mitbedeutung antiker Skepsis gewesen. Zweifel an Dogmen sind und waren stets Merkmale religiöser Auffassungen. Sie ergaben sich ausgepraegt als Folge von ‚forschen‘ im Mittelalter und in der Neuzeit. Die Art von Enthaltung wie sie antiken Menschen nahe war, kann sich heute noch in der Redewendung „Da bin ich skeptisch!“ aeuszern. Menschen – so Hume’s Sicht – brauchen nicht zu fuerchten, aus ihrer Skepsis Nachteile zu ziehen. Sie haben physiologisch wirksame Hemmungen gegen den Skeptizismus, denn sie orientieren sich an ihren Lebensbeduerfnissen. „Wir sollten in allen Wechselfaellen des Lebens stets skeptisch bleiben. Glauben wir z. B. dass Feuer waermt und Wasser kuehlt, so liegt das lediglich daran, dass jede andere Sichtweise viel zu schmerzhafte Nachteile hat.“ (Hume, Treatise, 1,4,7,11)

Individuelles ueberschreiten I



Kann man die Dinge auch mit den Augen anderer sehen?

Menschen gehen davon aus. Menschen meinen z.B., sich in andere einfuehlen zu koennen: „Ich weisz, was in dir vorgeht.“ Muetter halten sich zu Gute, ihre Kinder zu kennen. Lehrer glauben zu wissen, wie jeder ihrer Schueler am effektivsten lernen. Liebende gehen davon aus, ein Herz und eine Seele zu sein. Auch Wissenschaftler gehen davon aus, den Beweis dafuer erbracht zu haben, dass ein Individuum wissen kann, was ein anderer empfindet: Sie haben die Spiegelneuronen entdeckt.

Menschen, die davon nicht ausgehen, gelten zumindest als soziale Grobiane, werden als gefuehlskalt, … etc. bezeichnet. Manche gehen so weit zu behaupten, dass diesen Menschen eine wichtige menschliche Faehigkeit fehle. Derartige Selbstverstaendlichkeiten und derart Weitreichendes macht es aus meiner Sicht noetig, dem Empathischen, d.h. dem Einfuehlsamen auf den Mund zu schauen: Wovon ist hier die Rede?

Im Wesentlichen duerfte es um Kommunikation gehen.

Ich gehe davon aus, dass Kommunikation mit der Benutzung von Zeichen (Gesten, Mimik, Woerter, Stimmfaerbung, … etc.) zu tun hat, die in Menschen etwas ausloesen. Bereits im Uterus sind Menschen Zeichen der Umgebung ausgesetzt. Worauf diese Zeichen verweisen, lernt der Mensch ueberwiegend extrauterin.

Mit ungefaehr einem Jahr beginnen Menschen Woertern etwas Bestimmtes zuzuordnen. Sie fangen an zu sprechen. Mit durchschnittlich 5/6 Jahren ist das Bestimmte, auf das ein Wort hinweist, im Bereich des Konkreten so weit von Menschen erforscht, dass andere mit ihnen reden koennen. Andere Zeichen als Woerter werden nachrangig. Bis dahin gibt es viele Irrtuemer, die dem Herausfinden des Bezeichneten dienen. Auf diesem Weg begegnen Menschen auch Zeichen, bei denen es nicht gelingt herauszufinden, was damit bezeichnet wird. Es sind Abstraktionen, Metaphorisches. Deren Erforschen dauert länger.

Was steht wofür?

Grundlegende Erfahrung aus diesen ersten Lebensjahren ist also: Wenn ein Menschen mit anderen reden moechte, muss er fuer sich selber herausfinden, was es mit den Zeichen auf sich hat, die die anderen benutzen. Das Reden ueber Dinge orientiert sich dabei am Konkreten, das ein Mensch kennt: Katze, Tisch, gehen, lachen, blau, gruen … etc. In diesem Rahmen gibt es selten Unklarheiten zwischen Menschen; es sei denn es liegen sensorische Beeintraechtigungen vor (z.B. Seh- oder Hoerdefizite).

Reden ueber Dinge, die man nicht kennt, reden ueber Abstrakta, Metaphorisches oder ueber das, was in anderen Menschen vor sich geht, wird unklar, weil das damit Bezeichnete nicht gemeinsam betrachtet werden  kann. Um zu erlaeutern, was ich meine, wenn ich das Wort ‚Liebe‘ verwende, muss ich mehr Woerter benutzen. Die Kommunikation wird unuebersichtlich. Menschen haben eventuell deshalb den Gebrauch des Wortes „verstehen“ erfunden. „Aha, ich verstehe, was du meinst!“ oder „Verstehst du mich?“ „Ich verstehe!“ beendet die Kommunikation ueber ein bestimmtes Thema. Mir fiel schon oft auf: Je besser Menschen sich verstehen, desto weniger scheinen  sie sich zu sagen haben. Aber dies nur nebenbei.

Was folgt daraus fuer die Eingangsfrage? 

Erst einmal nicht viel.
1. Von Geburt an ist der Mensch damit beschaeftigt zu kommunizieren und dazu muss er fuer sich immer wieder herauszufinden, worauf Zeichen hinweisen.
2. Der Mensch orientiert sich dabei an konkreten Dingen.
3. In der Kommunikation ergibt sich fuer ihn, ob er Zeichen korrekt entschluesselt hat.

Die Untersuchung wird fortgesetzt.

Bedeutung und Sprache



Ein Wort, 10 gaengige Bedeutungen und 189 Synonyme:
Anmerkungen und Behauptungen zu sprachphilosophischen Konzepten

Die einen glauben an die Theorie vom Nuernberger Trichter …
Es gibt eine schon jahrtausende lang waehrende Meinungsverschiedenheit in der abendlaendischen Philosophie. Die einen – wie z.B. Wittgenstein und Peter Bieri – scheinen Woerter für eine Art Gefaeße anzusehen, die etwas be-inhalten, z.B. Ideen, Wesen, Kontexte. Ihre Sprachspiele kommen deshalb auch mit dem Gestus des Wissenden daher. Manche erklaeren dazu noch, dass dieser Inhalt abstrahiert werden könne oder einer irgendwie gearteten Erleuchtung als Anregung diene. Heute scheint ‚Bedeutung‘ für Philosophen wie Ernst Tugendhat in aehnlicher Weise der Inhalt von Woertern sein zu sollen, die sich auf irgendeine Weise Menschen mitteile. Wittgenstein erklaerte letzteres nach Auskunft eines Blognachbars indem er an das Bild vom Nuernberger Trichter anknuepfte.

… die anderen behaupten aus ‚hinsehen‘ …
Andere – so wie ich – scheinen davon auszugehen, dass Woerter Klang bzw. Geraeusche darstellen, die jeder einzelne mit eigenen Vorstellungen assoziiert. Wie es kommt, dass Menschen eine gemeinsame Sprache benutzen, bringt sie in Erklaerungsnot, die sie aber als marginal betrachten. Sie halten Erklaerungen ohnehin für fluechtig. Sie raeumen lieber ein, nicht zu wissen, wie Menschen dieses Kunststueck fertig bringen. Doch sie sehen, wie Kinder sprechen lernen. Sie kennen Sprachgebrauch in unterschiedlichen Situationen und zu unterschiedlichen Gelegenheiten. Daraus koennen sie für sich Schlussfolgerungen ziehen und sie anderen mitteilen. Sie gehen davon aus, dass der Gebrauch bestimmter Wörter für etwas Bestimmtes handelnd entsteht, sich veraendert und wieder in Vergessenheit geraet. Menschen, die dieser Meinung sind, sehen Woerter als mehr oder weniger brauchbar für den eigenen Gebrauch bzw. für Kommunikation an. Es gibt jeweils nachvollziehbare Gruende letzterer oder der ersten Meinung zu sein. Für welche man sich entscheidet, wird m.E. nicht durch den scheinbar argumentativen Wert, d.h. die Sprache  einer Theorie bewirkt.

Woerter bewirken keine Bedeutung …
Ich moechte keine Argumente sammeln, weil Argumente nur Woerter sind. Ich denke, dass ich die Fantasie haette Konstellationen zu erfinden, die meine Meinung ueberzeugender darstellte. Doch diese Wort-Kontext-Erfindungen haben m.E. noch nie Menschen mit jeweils anderer Auffassung in der Sache einander naeher gebracht. Ich beschraenke mich aufs Beschreiben dessen, was ich denke und wie ich dazu komme. ‚Naive Realistin‘ hat mich vor kurzem jemand genannt. Moeglicherweise wird sich das, was nun folgt, naiv realistisch oder unrealistisch oder philosophisch unprofessionell lesen lassen koennen.

Ich gehe von dem aus, was ich wahrnehmen kann. Gesprochenes betrachte ich als Schallereignisse. Das merke ich z.B. dann, wenn ich im tuerkischen Restaurant sitze und die einzige Deutsche weit und breit bin. Ich hoere lediglich Geraeusche, Laute … In deutscher Sprache erlebe ich Vergleichbares, falls ich eine Tagung promovierter Informatiker besuchte und einfach nicht herausfinden kann, wovon die reden. Lese ich ein Fachbuch über computergestütztes Graphikdesign, geht es mir nicht viel anders. … Auch mit vielen philosophischen Texten erlebe ich ähnliches: Ich weiß einfach nicht, wovon die Leute reden, obwohl sie Woerter verwenden, die auch ich verwende. Menschen anderer Sprachen scheint dies auch so zu gehen. „Ich weiß auch oft nicht, wovon meine Landsleute so reden.“, meinte vor einiger Zeit eine junge polnische Studentin.

Woerter bezeichnen sich gegenseitig
Wenn Menschen über Bedeutung von Woertern reden, hole ich meine Duden, die unterschiedlich gebraeuchliche Bedeutungen von Woertern in Gegenwart und Vergangenheit zusammen gestellt anbieten. Dieser Reichtum meiner Sprache freut mich. Das Internet kann diese Freude noch um einiges steigern. Für „empfinden“ z.B. gibt es 10 gaengige Bedeutungen und 189 Synonyme. Toll!

Wort und Sache hängen nicht automatisch zusammen
Die Hundegeschichte von Magnus beschreibt, dass zwei Menschen unterschiedliche Woerter für eine Fellfarbe verwenden. Dass sie das Tier mit dem Wort ‚Hund‘ bezeichnen, scheint außer Frage zu stehen. Doch das Wort ‚Hund‘ kann ins Gerede kommen. Als ich zum ersten Mal einen Rehpinscher sah, fragte ich den Besitzer: „Das soll ein Hund sein?“ Da er dies bejahte, bezeichnete ich von da an auch diese Art Lebewesen mit dem Wort ‚Hund‘. Aehnlich ging es mir mit der ersten ‚Nacktkatze‘. Ein Schreiner in den Schweizer Bergen erfindet und baut saeulenförmige Schraenke und andere Ungewoehnlichkeiten. Meine Großmutter haette sich amuesiert an den Kopf gefasst.

Im Fall von Farben ist es extrem schwierig, sich auf einen gemeinsamen Wortgebrauch zu verständigen. Im Unterschied bspw. zu Tönen, sind Farben aus verschiedenen Anteilen zusammengesetzt. Diese Vielfalt macht erinnern an die gleiche Farbe schwierig und gelingt meist nur mit taeglicher Übung. Ein anderer deutlicher Unterschied ist u.a., dass Farben kontextabhaengig wahrgenommen werden. Es gibt Experimente die zeigen, dass Menschen Farben assoziativ zuordnen und behaupten eine ganz bestimmte Farbe zu sehen, auch wenn die Lichtwellen andere Werte ergeben. Forscher wollen sogar Anhaltspunkte dafuer entdeckt haben, dass Frauen im Rot-Spektrum differenzierter wahrnehmen koennen als Maenner. Andere Experimente ließen die Schlussfolgerung zu, dass bei depressiven Menschen die Nervenzellen in der Netzhaut schwaecher auf Kontraste reagieren.

Informationen, um daraus Erklärungsmodelle zu stricken, lassen sich finden. Das Verbindende dieser Informationen scheint mir die Idee des Protagoras: „Für mich sind die Dinge so, wie sie mir erscheinen und für Dich so, wie sie Dir erscheinen.“

Ein „Durchschnittsmensch“ bringt es ungefaehr auf 20 unterschiedliche Bezeichnungen. Ein Kunstmaler, ein Dekorateur kann 100 – 200 unterschiedliche Farben bezeichnen. Die großen Farbhersteller und –vertreiber muessen sich mit zahlreichen, umfangreichen Farbtafeln behelfen, um zu „wissen“ welche Farben sie im Sortiment haben und wie sie hergestellt werden koennen. Jeder der renoviert oder sich einrichtet, kennt diese Farbfächer, mit deren Hilfe wir uns über bestimmte Farben verständigen und dabei Wörter, Bilder und Ziffern als Bezeichnungen verwenden.

Mir gelingt es daher nicht, Woerter zu Bedeutungstraegern zu machen.

Unsere Koerpersinne, d.h. unsere sensorische Organisation funktionieren gemaeß ihrer Natur
Jeder kann sich auf seine Sinne entsprechend deren Funktionsweise verlassen, daran braucht man m.E. nicht zu ruetteln, wenn man unterschiedliche Bezeichnungen für Dinge, Ereignisse, Verhalten … verwendet. Im Fall der Hundefellfarbe behauptet jeder, er habe Recht.  Aber auch der umgekehrte Fall scheint mir die Regel: Menschen assoziieren Unterschiedliches bei gleichen Woertern. Wenn jemand Schule sagt, habe ich meine erste Schule vor Augen. Wenn jemand Tisch sagt, erinnere ich mich an den Tisch meiner Eltern, der meine ganze Kindheit begleitet hat. Wenn jemand Hund sagt, denke ich an einen eigenwilligen, schwarzbraunen Chow-Chow-Rueden oder den Bernhardiner meines Nachbarn. Und manchmal koennen es ganz andere Bilder sein, die ich mit diesen Woertern verbinde.

„Das Lehren der Sprache ist hier kein Erklaeren, sondern ein Abrichten.“ (PU 5), …
meinte laut Magnus‘ Artikel Wittgenstein. Moeglicherweise hat er sein Sprechenlernen so erlebt. Die meisten Lehrer und moeglicherweise auch Eltern dürften davon überzeugt sein, dass Kinder lernen „muessen“, wie man Sprache „richtig“ gebraucht und verwirren damit die Kinder. Vor allem diejenigen unter ihnen, die feststellen, dass dieser „richtige“ Sprachgebrauch für sie nur unter Mühen lernbar ist. Einzelne geben auf und schweigen. Kinder experimentieren mit Woertern, das laesst sich erheben. Sie versuchen herauszufinden, wie sie Woerter so gebrauchen koennen, damit sie mit anderen Kindern und Erwachsenen reden koennen.

M.E. geht es in der philosophischen Sprachforschung um Sprachverhalten und damit um Menschliches. Letzteres halte ich für sehr relevant. In der Philosophie zeichnet sich bisher nicht ab, dass man Menschliches besonders wichtig nimmt. Das Wort ‚Bedeutung‘ ist für mich wie jedes andere Wort individuell besetzt und kommunikativ assimiliert. Die individuellen Vorstellung sind nicht sagbar, doch wieder mit Worten erlaeuterbar. Was im Duden steht, das worauf Menschen sich beziehen, wenn sie kommunizieren, koennte als jeweils gemeinschaftlich festgelegtes Ergebnis der Kommunikation betrachtet werden. Kurz gesagt: Etwas, auf das, man sich geeinigt hat.

Die Ethymologie beforscht diese Veränderungen.

Oeffentliche Sprache und Individuum



Dieser Artikel ist beim Antworten auf einen anderen Artikel entstanden
Robinsons Sprachen: Zwischen öffentlichen und privaten Worten

Oeffentliche Sprache

„die Verbindung der Oeffentlichkeit mit der Sprache ist einfacher zu erklaeren als gedacht. … die Teilnahme an einer Sprache ist nicht einfach so moeglich. „

Wie wir Menschen bereits als Saeuglinge – vermutlich schon intrauterin – Sprache lernen, bis wir dann nach einigen Jahren kommunizieren koennen, kann niemand sagen. Bisher hat keine Wissenschaft einen Zugriff auf diesen Erwerb, ausser vom Sprachverhalten ausgehend im Zusammenhang mit neurowissenschaftlicher Grundlagenforschung Annahmen zu formulieren. Danach sorgt unsere gesamte neuro-sensorische Organisation dafuer -so aehnlich wie fuer anderes – mit ihrem bewaehrten Prinzip: sensorieren – verarbeiten, d.h. neuronale Netzwerke bilden – reagieren.

Eine oeffentliche Sprache lernen‘ hiesse demnach eine individuelle Variante der oeffentlichen Sprache lernen, die mit derjenigen anderer Individuen kompatibel sein muss, um Kommunikation zu ermoeglichen. M.E. duerfte man daraus schlussfolgern koennen, dass ‚oeffentliche Sprache‘ weder homogen noch fix sein duerfte, was sich auch darin niederschlaegt, dass wir behaupten jemand spricht gutes, bzw. richtiges Deutsch oder schlechtes Deutsch. Fuer Robinsons Sprachentwicklung auf seiner menschenleeren Insel koennte dies heissen, dass seine Sprache im Lauf der Zeit mehr oder weniger grosse Abweichungen von der oeffentlichen Sprache in England aufweisen duerfte.

Die oeffentliche Sprache duerfte also staendigen Veraenderungen unterworfen sein. Fachsprache, Jugendsprache, literarische Sprache, Journalistendeutsch usw. bezeichnen weitere ‚insel’aehnliche Sprachraeume. Immigranten vermischen ihre Sprachen mit der oeffentlichen deutschen Sprache. Jeder Benutzer der oeffentlichen Sprache ist m.E. gleichzeitig Nutzer dessen, was er im Zuge der Kommunikation vorfindet und regt durch seinen Sprachgebrauch semantische und grammatikalische Veraenderungen an.

Privatsprache

„Ueber die Moeglichkeit einer privaten Sprache, die ein Individuum nur mit sich selbst und niemand anderen ausmacht, diskutieren Philosophen seit Dekaden.“

Ich wuerde sagen, derartiges gibt es. Vielleicht nicht so ‚absolut‘ wie Metaphysiker sich das denken, eher partiell und situativ. Immer da wo jemand mit sich selber alleine ist, koennte es diese private Sprache geben. Aus diesen einsamen Raeumen duerften auch Anregungen fuer die ‚oeffentliche Sprache‘ entstehen, wie Literaten, Dichter und Philosophen immer wieder demonstrieren. Diese private Sprache duerfte vermutlich nie ohne Rueckbezug zur oeffentlichen gestaltet sein – was sich aus dem Spracherwerb ergibt, aber sie koennte vor allem individuelle semantische Auspraegungen verstaerken und diente der Klaerung dessen, was in einem Menschen geschieht. Auch Gruppen erzeugen so etwas wie eine ‚private Sprache‘.

„Worte um ueber sein Innenleben Auskunft zu geben“

Die semantische Vielfalt von einzelnen Woertern, Satzkonstruktionen, Texten, Gedichten scheint mir die Attraktivitaet der philosophischen Sprachforschung zu begruenden. Im Hinblick auf das oben beschriebene ‚Sprache lernen‘, das immer im Kontext von eigenen Erlebnissen entsteht, duerfte man davon ausgehen koennen, dass kein Wort fuer zwei Menschen die gleiche Bedeutung hat. Diesen Unterschied halte ich fuer unhintergehbar. Er duerfte im Zusammenhang mit Auskuenften ueber das eigene Innenleben noch deutlicher zu Tage treten.

Kommunikationsstoerungen entstehen m.E. vor allem deshalb, weil Menschen spontan dazu neigen, eigene Bedeutungen den Worten des Gespraechspartners zu unterstellen, bzw. sie absolut zu setzen. Auf diese Weise wird Sprache alltaeglich missbraucht.

allgemeingueltige Sprache

Ich gehe davon aus, dass die Bezeichnung ‚oeffentliche Sprache‘ genauso unzureichend wie andere sprachliche Bezeichnungen etwas fassen koennen, was im Sinne von ‚allgemeingueltig‘ sein koennte. Mir scheint ‚allgemeingueltiges‘ ein ausgetraeumter Traum der Philosophie, eine schmerzliche Einsicht. In frueheren Zeiten konnte man sich innerhalb hierarchischer Verfassungen die Marginalisierung der individuellen Abweichungen von der gerade dominanten Theorie leisten. Dies geht heute nicht mehr. Menschen moechten ueber sich selber bestimmen und gesellschaftlich so mitwirken, wie es ihnen entspricht und nicht irgendeiner Theorie.

Ich meine, dass Philosophen Moeglichkeiten finden koennten, diese autonomen Bestrebungen zu unterstuetzen und Kriterien fuer deren Umsetzung gemeinsam mit anderen zu entwickeln. Wir koennten moeglicherweise gemeinsam mit Hilfe der Kommunikation Einigen untereinander ermoeglichen, wenn wir miteinander gemeinsam handeln moechten. Aber im Moment habe ich den Eindruck wird unser gesellschafts-politisches Leben nicht vom dem Beduerfnis nach einem gemeinsamen Handeln bestimmt. Dies gaelte es anzuregen. Politiker denken und handeln von oben nach unten und die demokratisch Beherrschten von unten nach oben. Diese hierarchischen bzw. autoritativen Verhaltensmuster, die institutionalisiert sind, d.h. nur sehr, sehr schwierig zu veraendern sein duerften, koennten m.E. durch eine Optimierung philosophischen Denkens und Handelns, das von Sach- und Personenverhalten ausgeht, veraendert werden.

Die Schmerzen – die immer entstehen, wenn Neues geboren wird -, duerften durch die Aussicht auf ein menschlicheres Miteinander ertraeglich werden koennen. Ermutigend koennte auch noch folgender Blick sein: Wenn es tatsaechlich moeglich waere, menschliches Handeln und Denken in jeder Hinsicht zufrieden stellend und damit ja fuer alle Zeiten feststehend theoretisch zu begruenden, haetten ausgerechnet diejenigen die diesem Ziel philosophierend lebenslang hinterher jagen, am wenigstens Freude daran. Denn aus meiner Sicht sind Philosophen alle Freidenker. Harald Lesch hat vor einiger Zeit dazu gesagt: „Und was machen wir, wenn wir DIE WAHRHEIT gefunden haben?“


Ergaenzend dazu fuer Philosophieversessene
Davidsons Kritik am „3. Dogma des Empirismus“