Wahles Kritik der Erkenntnis

Seit Locke hat sich ‚Erkenntnistheorie‘ als Disziplin der traditionellen Philosophie etabliert. Dabei geht es um die Frage, was können wir ‚wissen‘ und wie kommen Menschen zu verlässlichen Erkenntnissen. Kant war einer der letzten, der mit einem ausgeklügelten System die Frage im Sinne von ‚Erkenntnis ist möglich‘ beantwortete. Er gab mit seiner ‚Kritik der reinen Vernunft‘, indem er bekannte Begriffe zerlegte und z. T. verändert anwendete, seinen Lesern viele Probleme auf. Zeitgenossen hielten seine Transzendentalphilosophie für eine gelungene Variante der Lösung des Erkenntnisproblems, die wissenschaftlichen Standard im Kreis anderer Wissenschaften beanspruchen konnte. Es gab aber auch eine Reihe von Widersprüchen, die im wesentlichen bemängelten, dass er das unausgesprochen voraussetzte, was er behauptete bewiesen zu haben. In dieser Hinsicht hatte Kant so etwas wie einen „blinden Fleck“. Und viele, die ihm folgten, schienen unter einer vergleichbaren Blindheit zu leiden. 

Als Wahle Ende des 19. Jahrhunderts zu philosophieren begann, war Kant im deutschsprachigen Raum ein anerkannter und viel interpretierter Philosoph. Wahle  behauptete nun, dass die Sehnsucht nach Wissen unerfüllbar sei. Vor allem neurobiologische Ergebnisse aus der Hirn- und Nervenforschung seiner Zeit sprachen aus seiner Sicht dagegen. 

Er distanzierte sich im Hinblick auf ‚Wissen‘ von vertrauten philosophischen Selbstverständlichkeiten. U. a. von Begriffen wie Materie, Subjekt, Geist, Ich, Bewusstsein, von der Behauptung es gäbe ein ‚Innen‘ und ‚Außen‘. Aus seiner Sicht führte dies zu Irrtümern, die die tatsächlichen Sachverhalte verbergen. Der grundlegende, tatsächliche Sachverhalt von dem er ausging, waren die ‚Vorkommnisse unter dem Bestand der Sinne‘. Aus den ‚Vorkommnissen‘ können wir schlussfolgern, dass wir etwas vor uns haben, was als Objekt bezeichnet, jedoch nicht bestimmt werden kann. Erinnerungen von und Phantasien aus ‚Vorkommnissen‘ ergeben keine Kenntnisse, die man als Wissen bezeichnen dürfe.

Statt über ‚Geist‘ sprach er von Psychischem. Psychisches sei wie etwas „Gewordenes, Ernährtes und Wurzelndes“. Eine Art Produkt, das erforschbar ist. ‚Geworden‘ heißt: Das Nervensystem ermöglicht uns von Geburt an zu empfinden, d. h. Vorkommnisse zu erleben. Die frühen Vorkommnisse sind Basis unserer Vorstellungen und bahnen unserer ‚geistigen Entwicklung‘. ‚Ernährtes‘ heißt, unser Nervensystem produziert lebenslang Vorkommnisse, mit denen wir unser Leben gestalten. ‚Wurzelndes‘ : Psychisches ist stets mit dem Nervensystem verbunden. D. h. der Mechanismus unseres Denkens bzw. geistigen Lebens ist physiologisch bedingt. Mechanismus meint die chemischen und physikalischen Prozesse unseres Nervensystems.

Dass ohne unser Nervensystem die Welt so ist, wie wir sie mit ihm wahrnehmen, ist eine unbegründete Annahme. Unsere Wünsche nach Wissen sind also vergeblich, weil wir niemals davon ausgehen können ohne unser Nervensystem zu leben. Dies gilt auch für die Verwendung von physikalischen und chemischen Hilfsmitteln: Wir haben stets ‚Vorkommnisse unter dem Bestand der Sinne‘. (Vgl. zum gesamten Abschnitt: Wahle: Über den Mechanismus des geistigen Lebens, S. 34-50)

 

 

Jeder Mensch braucht sich und seine Beduerfnisse

Dies ist ein erster Bericht ueber mein gegenwaertiges Projekt Georges Bataille (1897-1962). Ich beziehe mich dabei im Moment auf das, was andere ueber Bataille geschrieben haben und auf wenige kurze Orginaltexte aus diesen Lektueren.

André Breton hat ihn verspottend einen Exkrementenphilosophen genannt. Breton war in der ersten Haelfte des 20. Jahrhunderts Fuehrer der surrealistischen Bewegung. Bataille war und fuehlte sich in den zwanziger Jahren dieser Bewegung zugehoerig. Breton betrachtete Bataille spaeter als Gegner der surrealistischen Bewegung. Ihm schwebte eine Bewegung vor, deren Charakter sich einerseits durch die Vielfalt neuartiger, kuenstlerischer Ausdrucksmittel entwickeln sollte, sich aber andererseits in grundsätzlichen Bereichen festzulegen hatte. Letzteres vor allem gab immer wieder Anlaesse fuer folgenreiche Auseinandersetzungen unter den Mitgliedern der surrealistischen Bewegung. Diese Anlaesse forderten auch den Widerspruch Batailles heraus und er vertrat seine eigenen Vorstellungen.

Batailles Schriften als Exkrementenphilosophie zu bezeichnen halte ich erst einmal fuer zutreffend, auch wenn ich die den Autor verspottende Namensgebung irgendwie anders auffasse. Bataille thematisierte in seinen Schriften das, was in der christlich-buergerlichen Kultur seiner Zeit ausgeschieden wurde. Letzteres nennt er auch das Heteronome. Dies laesst sich sowohl in seinen obszoenen Schriften, als auch in seiner Oekonomie nachlesen. Ich denke, es gibt keine Schrift von ihm, in denen er dieses Anliegen verlassen hat. Irgendwann hatte er entschieden, dass mit Worten niemand und nichts kommuniziert und veraendert werden kann. Er lehnte es auch deshalb ab, sich revolutionaer zu betaetigen, wie Breton es wollte. Es ging ihm dann darum, davon zu erzaehlen, was verfemt wird, d.h. verschwiegen und abgewertet wurde. Diese Pertubationen sorgten und sorgen heute noch fuer internationale, wissenschaftliche Aufmerksamkeit. In seiner Oekonomie schrieb er ueber seine Sicht auf Zusammenhaenge, wie Menschen in einer Gesellschaft oekonomisch handeln koennten, die Verfemtes, bzw. das ihr bislang Fremde (heteros) mit einbezieht. Statt den Menschen der Sache Produktion zu unterwerfen – so die fuer mich zentrale These seiner Allgemeinen Oekologie -, solle der Mensch im Interesse aller seinen Beduerfnissen gemaesz handeln. Dieser Maszlosigkeit kann der menschliche Bios im gemeinschaftlichen Handeln Orientierung geben und einen entsprechenden Gebrauch der Ressourcen ermoeglichen.

B. dramatisierte dieses Thema in der Schrift Der Begriff der Verausgabung (1933) – ich uebersetze den Titel lieber mit Die Idee des Verbrauchens. Er erlaeuterte diese Idee an einem bekannten Generationenkonflikt. Der Sohn geht seinem Vergnuegen nach. Der Vater greift korrigierend ein, obwohl er sich selber aehnliches unkritisch zubilligt. Er moechte, dass der Sohn sich nuetzlichen Dingen widmet. Damit solle – so Bataille – erreicht werden, dass die nachfolgende Generation sich in der homogenen Welt der Verantwortung bewegen lernt und ihre Individuen respektable, bzw. respektierte Mitglieder der Gesellschaft werden. Dieser Konflikt beruhe auf dem Sachverhalt, dass ausgeschieden wird, was nicht in die Idealitaet der Theorie passt und deshalb auch in der Praxis als verfemt gilt. Verbrauchen erhaelt daher die Bedeutung von Verschwendung.

Bataille holte die Umsetzung von Theorien in die niedere Materie, die nach seiner Auffassung nicht von den ontologischen Maschinen (wie Wesen, Substanz, Wahrheit) erfasst werden kann. Letztere gehen von fertigen bzw. richtigen Antworten aus. Sie sind nicht in der Lage umfassende, handlungsrelevante Rahmen zu erzeugen, die Menschen helfen, neue philosophische Sichten zu erfinden. Wer kann denn schon sagen, was nuetzlich ist? Wer kann sagen, was moralisch ist? Wer kann sagen, was der Mensch ist? Die traditionellen, klassischen Antworten erzeugten geschlossene Systeme, deren Folgen – vor allem im Hinblick auf eigene Erfahrungen, aber auch auf die Natur, auf Ressourcen, und soziale Fragen – das in ihnen nicht Vorkommende hervorrufen, und so verstoerend und aufruehrerisch wirken. Homogenes ruehrt so Heterogenes auf, Gleichbleibendes ist mit Flieszendem verbunden, Ethisches bestimmt sich gegen das Boese, Moralisches grenzt an Obszoenes, Ordnung wird durch Aufruhr heimgesucht … etc.

Der von Bataille als sein philosophischer Lehrer geschaetzte Léon Chestov schrieb in Abgrenzung zum Idealismus: „Uns bleibt einzig noch die Willkuer. Es ist gut moeglich, dass dieses Wort in seiner Aufrichtigkeit die Gunst der anspruchsvollen Geister erlangt, die an den Rechten des kritischen Verstandes zweifeln …“*

*Leo Chestov: La Philosophie de la tragedie. Paris 1926, S. 5. Zit. B. Michel Surya: Die Willkuer, après tout. Von der ‚Philosophie‘ Leo Chestovs zur ‚Philosophie‘ Georges Batailles. In: Andreas Hetzel & Peter Wiechens (Hg): Georges Bataille: Vorreden zur Ueberschreitung. Wuerzburg 1999, S.15.

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Bei Hetzel und Wiechens habe ich Anregungen zu meinem Text gefunden. Aber auch bei:

Wer sich im Besitz der Wahrheit glaubt, …

moechte ‚recht haben‘, moechte ‚beweisen‘, dass nur seine Sichtweise die ‚richtige‘ ist. Gegen andere Sichtweisen muss er sich verwahren. Skeptische Philosophen koennen Irrtuemer einraeumen. Sie gingen und gehen davon aus, dass ‚richtig‘ und ‚wahr‘ Kriterien sind, ueber die niemand verfuegt – auch sie nicht. Fuer Skeptiker ist ‚recht haben wollen‘ und ‚beweisen wollen‘ eine Art Sackgasse. Fuer sie folgt aus ihrer skeptischen Praxis des Hinsehens, ’sich eines abschlieszenden Urteils zu enthalten‘. Jedes Hinsehen ergibt in aller Regel immer wieder einen neuen, bzw. etwas anderen Aspekt, auch wenn der neue sich nur minimal von dem Vorhergehenden unterscheidet. Diese durch Hinsehen entstehende Vermehrung von Unterschieden macht die Differenziertheit und die Qualitaet von Sichtweisen aus, die jeder autonom erheben kann. Dies zeigen z. B. Aeuszerungen von Menschen ueber die unterschiedlichsten Lebensbereiche, in denen sie professionell taetig sind bzw. waren.

Der Rat ‚immer wieder hinzusehen‘ fuehrte bereits in der Antike zu Missverstaendnissen. Viele Zeitgenossen des Pyrrhon – allen voran die Stoiker – stieszen sich an der Idee der Enthaltung und unterstellten dem, der dieser Idee folgte, dass er lebensuntuechtig sein muesse. Sie gingen zurecht davon aus, dass jeder Mensch handeln muss. Sich eines Urteils zu enthalten, schien ihnen unmoeglich. Dies entspricht durchaus dem, was skeptische Philosophen sowie Neurowissenschaftler inzwischen annehmen: „Unsere physiologische Natur bestimmt nach Gesetzmaeszigkeiten, die wir nicht kontrollieren koennen, dass wir gar nicht anders koennen, als Urteile zu faellen, so wie wir automatisch atmen und wahrnehmen“ (Hume Treat. I,4,1,7.) Daraus zu folgern, dass die Notwendigkeit des momentanen ‚handeln‘ und ‚urteilen‘ dauerhafte Urteile notwendig mache, ist das seit Jahrhunderten gebraeuchliche explizite und implizite Missverstaendnis, das Skepsis abwehrte, sie ungeeignet fuers Philosophieren hielt und Skeptiker der Laecherlichkeit preisgab. Ueber den in vielen Feldzuegen erprobten Pyrrhon wurde u. a. die Laecherlichkeit erzaehlt, dass er nur in Begleitung einer Magd sein Haus verliesz, um wieder nach Hause zu finden. Menschenwissenschaftler unter den Philosophen – wie Hume – bemuehten sich ohne groszen Widerhall darum, dieses Missverstaendnis auszuraeumen: „Niemand duerfte je einen so laecherlichen Menschen getroffen oder mit einem verkehrt haben, der handelnd oder forschend keiner Vorstellung bzw. keiner Annahme ueber das gefolgt waere, was er zu erreichen hoffte.“ (Hume, Enquiry, XII, 2.)

Handlungsbeduerfnisse, die aus menschlichen Grundbeduerfnissen entstehen, sind in der metaphysisch orientierten Philosophie nicht gruendlich mitbedacht worden. Kant z. B. hat Kritik anderer an der praktischen Mangelhaftigkeit seiner Ethik stets abgewehrt und darin keinen Anlass gesehen, sein apriorisches Konzept zu ueberpruefen, bzw. es zu revidieren. (Vgl. die Meinungsverschiedenheiten zwischen Kant und Ulrich. Kant: Metaphysische Anfangsgruende der Naturwissenschaften. In: Akademieausgabe von Kants gesammelten Werken, Bd. IV, S. 474/6. Christian Jakob Kraus: Rezension zu Ulrichs ‚Eleutheriologie‘, In: Akademieausgabe von Kants gesammelten Werken, Bd. VIII, S. 451ff.) Diese strukturell vorhandene Abwehr in der Philosophie gegen die Beschaeftigung mit Konkretem hat ‚philosophieren‘ in Verruf gebracht. Die Philosophie, so wie sie sich noch heute mehrheitlich als ‚Analytische‘ praesentiert, stoeszt einen eigenstaendig philosophierenden Jedermannphilosophen vor den Kopf. Ich frage mich dabei nach dem Interesse dieser Philosophen und dem Nutzen dieses Philosophierens.

Jahrhundertlange Uebungen in Wahrheitsdiskussionen, die man um der Wahrheit willen fuehrte, haben ferner dazu gefuehrt, dass skeptisches Philosophieren in Skeptizismus umgemuenzt wurde. Die Bedeutung „zweifeln“ beherrscht bis heute die entstellende neuzeitliche Auffassung der Skepsis. ‚Zweifeln‘ war keine Mitbedeutung antiker Skepsis gewesen. Zweifel an Dogmen sind und waren stets Merkmale religiöser Auffassungen. Sie ergaben sich ausgepraegt als Folge von ‚forschen‘ im Mittelalter und in der Neuzeit. Die Art von Enthaltung wie sie antiken Menschen nahe war, kann sich heute noch in der Redewendung „Da bin ich skeptisch!“ aeuszern. Menschen – so Hume’s Sicht – brauchen nicht zu fuerchten, aus ihrer Skepsis Nachteile zu ziehen. Sie haben physiologisch wirksame Hemmungen gegen den Skeptizismus, denn sie orientieren sich an ihren Lebensbeduerfnissen. „Wir sollten in allen Wechselfaellen des Lebens stets skeptisch bleiben. Glauben wir z. B. dass Feuer waermt und Wasser kuehlt, so liegt das lediglich daran, dass jede andere Sichtweise viel zu schmerzhafte Nachteile hat.“ (Hume, Treatise, 1,4,7,11)

Individuelles ueberschreiten I



Kann man die Dinge auch mit den Augen anderer sehen?

Menschen gehen davon aus. Menschen meinen z.B., sich in andere einfuehlen zu koennen: „Ich weisz, was in dir vorgeht.“ Muetter halten sich zu Gute, ihre Kinder zu kennen. Lehrer glauben zu wissen, wie jeder ihrer Schueler am effektivsten lernen. Liebende gehen davon aus, ein Herz und eine Seele zu sein. Auch Wissenschaftler gehen davon aus, den Beweis dafuer erbracht zu haben, dass ein Individuum wissen kann, was ein anderer empfindet: Sie haben die Spiegelneuronen entdeckt.

Menschen, die davon nicht ausgehen, gelten zumindest als soziale Grobiane, werden als gefuehlskalt, … etc. bezeichnet. Manche gehen so weit zu behaupten, dass diesen Menschen eine wichtige menschliche Faehigkeit fehle. Derartige Selbstverstaendlichkeiten und derart Weitreichendes macht es aus meiner Sicht noetig, dem Empathischen, d.h. dem Einfuehlsamen auf den Mund zu schauen: Wovon ist hier die Rede?

Im Wesentlichen duerfte es um Kommunikation gehen.

Ich gehe davon aus, dass Kommunikation mit der Benutzung von Zeichen (Gesten, Mimik, Woerter, Stimmfaerbung, … etc.) zu tun hat, die in Menschen etwas ausloesen. Bereits im Uterus sind Menschen Zeichen der Umgebung ausgesetzt. Worauf diese Zeichen verweisen, lernt der Mensch ueberwiegend extrauterin.

Mit ungefaehr einem Jahr beginnen Menschen Woertern etwas Bestimmtes zuzuordnen. Sie fangen an zu sprechen. Mit durchschnittlich 5/6 Jahren ist das Bestimmte, auf das ein Wort hinweist, im Bereich des Konkreten so weit von Menschen erforscht, dass andere mit ihnen reden koennen. Andere Zeichen als Woerter werden nachrangig. Bis dahin gibt es viele Irrtuemer, die dem Herausfinden des Bezeichneten dienen. Auf diesem Weg begegnen Menschen auch Zeichen, bei denen es nicht gelingt herauszufinden, was damit bezeichnet wird. Es sind Abstraktionen, Metaphorisches. Deren Erforschen dauert länger.

Was steht wofür?

Grundlegende Erfahrung aus diesen ersten Lebensjahren ist also: Wenn ein Menschen mit anderen reden moechte, muss er fuer sich selber herausfinden, was es mit den Zeichen auf sich hat, die die anderen benutzen. Das Reden ueber Dinge orientiert sich dabei am Konkreten, das ein Mensch kennt: Katze, Tisch, gehen, lachen, blau, gruen … etc. In diesem Rahmen gibt es selten Unklarheiten zwischen Menschen; es sei denn es liegen sensorische Beeintraechtigungen vor (z.B. Seh- oder Hoerdefizite).

Reden ueber Dinge, die man nicht kennt, reden ueber Abstrakta, Metaphorisches oder ueber das, was in anderen Menschen vor sich geht, wird unklar, weil das damit Bezeichnete nicht gemeinsam betrachtet werden  kann. Um zu erlaeutern, was ich meine, wenn ich das Wort ‚Liebe‘ verwende, muss ich mehr Woerter benutzen. Die Kommunikation wird unuebersichtlich. Menschen haben eventuell deshalb den Gebrauch des Wortes „verstehen“ erfunden. „Aha, ich verstehe, was du meinst!“ oder „Verstehst du mich?“ „Ich verstehe!“ beendet die Kommunikation ueber ein bestimmtes Thema. Mir fiel schon oft auf: Je besser Menschen sich verstehen, desto weniger scheinen  sie sich zu sagen haben. Aber dies nur nebenbei.

Was folgt daraus fuer die Eingangsfrage? 

Erst einmal nicht viel.
1. Von Geburt an ist der Mensch damit beschaeftigt zu kommunizieren und dazu muss er fuer sich immer wieder herauszufinden, worauf Zeichen hinweisen.
2. Der Mensch orientiert sich dabei an konkreten Dingen.
3. In der Kommunikation ergibt sich fuer ihn, ob er Zeichen korrekt entschluesselt hat.

Die Untersuchung wird fortgesetzt.

Ueber den Mythos des Geistigen



Meine Ablehnung von Erkenntnistheorien bezieht sich u.a. auf deren Setzungen wie z.B. ‚Geist‘, ‚Vernunft‘, ‚Verstand‘, ‚wahr‘, ‚falsch‘, Wissen, … etc., die aber in erkenntnistheoretischen Loesungen nicht als Setzungen ausgewiesen wurden, sondern im Gebrauch der Worte den Charakter des Faktischen annahmen und so gewohnheitsmaeßig die Selbstverstaendlichkeit des Geistigen und aller damit verbundenen geistigen Faehigkeiten kreiert haben dürften. Jeder der diese Ueberlegung nicht teilt, wird sie argumentativ mehr oder weniger geschickt und eventuell mit dem Hinweis auf wissenschaftliche Autoritaeten verwerfen.

Ohne auf denkbare Argumente einzugehen, ist weiter von Bedeutung, dass die im Diskurs zwischen verschiedenen Erkenntnistheorien zum Faktum erhobene Behauptung ‚der Geist ist etwas‘ verbunden wurde mit der abendlaendischen Behauptung, der menschliche Geist sei besser als der menschliche Koerper. Eine Behauptung die u.a. bei Augustin Thagaste zu finden ist, der seinem „Prinzip der Innerlichkeit“ folgend meinte: „Melius quod interius.“ (Bekenntnisse 10.6.9 )
Diese Idee, dass ‚innere‘, ‚geistige‘ Erkenntnis hoeherwertiger sei als Schlussfolgerungen aus ’sensorieren‘, zieht sich als unbemerkte Behauptung selbstverstaendlich durch jede Erkenntnistheorie. Sie foerdert die Auffassung, dass grundsaetzlich jede Theorie der Praxis überlegen sei. Es koennte sein, dass neuzeitliche Erkenntnistheoriker als Soehne und Toechter der ihnen auferlegten metaphysischen Schulung im Sinne eines vorauseilenden Gehorsams und gegen die aufklaererische Forderung ’sapere aude‘ die Pflicht erfuellen, die von den Altvorderen aufgestellten Behauptungen nachzuweisen, um sie weiterhin zu benutzen und um darueber hinauszugehen: Erkenntnistheoretiker naemlich behaupten, dass geistige d.h. apriorische Erkenntnisse jeweils Grundlage unseres ‚handeln‘ seien. Eine Behauptung, die noch heute m. E. unnoetige Graeben zwischen naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Sichtweisen aufreißt. Die als Loesung angesehene Behauptung duerfte in Zeiten autoritaetsorientierten Philosophierens vermutlich als funktional betrachtet werden koennen, aber in Zeiten des Beduerfnisses nach zunehmender Eigenstaendigkeit und nach Authentizitaet als verzichtbare Beschraenkung erlebt werden.

Hume hatte dazu bemerkt, dass der Verzicht auf die unreflektierte Uebernahme von Behauptungen frueherer Autoritaeten, alle deren Behauptungen fragwuerdig, wenn nicht hinfaellig macht. Es bleibt ohne Autoritaet nur noch die jeweils eigene Sicht auf die Dinge. Statt von Behauptungen anderer auszugehen, kann ein Mensch sich dann bloß auf das beziehen, was ein Mensch jeweils kennen kann. Die Philosophiegeschichte dokumentiert, dass es in der Philosophie bisher selten vorgekommen ist, dass eigenstaendig philosophiert wurde, wie es die antiken Philosophen gefordert hatten. Im Gegenteil: Es hat sich im Bemuehen um Gewissheit im philosophischen Denken der westlichen Welt etwas verfestigt, das als Denkverbot funktioniert: „Du sollst den Geist, die Vernunft, … etc. nicht in Frage stellen!“ Macht jemand sich daran zu schaffen, steht er in Gefahr philosophisch ignoriert zu werden. Dekonstruktion ruft Empoerung hervor. Das duerfte sich nachteilig fuer eine philosophische Weiterentwicklung auswirken koennen.

Die hier skizzierten, vermuteten Zusammenhaenge verdienen aus meiner Sicht nicht den Namen ‚Dekonstruktion‘: dazu muessten sehr viel weiter fuehrende Ueberlegungen angestellt werden. Sie taugen m. E. aber dazu, um begruendete Fragen zu stellen und ein Gefuehl des Unbehagens hervorzurufen.

Zur Erkenntnistheorie


Erkenntnistheorien sind geschlossen

Einer meiner Tuebinger Philosophieprofessoren fragte mich vor Jahrzehnten: „Muss man nicht neurotisch sein, um auf die Idee mit dem Ding an sich zu kommen?“ Damals irritierte mich die Frage und ich erinnere mich, dass ich sie mit Erkenntnistheorie beantwortete und damit auch abwehrte. Die Frage liess mich aber unterschwellig nicht mehr los. Immer oefter stiess ich mich daran, dass erkenntnistheoretische Aussagen auf sich selber verweisen, bzw. auf den logischen („richtigen“) Zusammenhang ihrer Erkenntnisse. Ein geuebter Erkenntnistheoretiker duerfte sich daran nicht stoeren, sondern er wird diesen Sachverhalt wahrscheinlich als selbstverstaendlich betrachten. Diese rueckbezuegliche Geschlossenheit von Theorien wird je nach dem auch in anderen Wissenschaften praktiziert. Doch keine andere verfolgt das Projekt Erkenntnistheorie so wie die Philosophie es tut. Philosophen gehen weiter „….als jede andere Wissenschaft, indem sie auch ihr eigenes Rechtfertigungsverfahren selbst rechtfertigen … , bis auf die ‚letzten Gruende‘ zurueckzugehen …“ Albert Keller: Allgemeine Erkenntnistheorie. Stuttgart (Kohlhammer) 2006, 3. Aufl., S.58.)
Das komplexe Gebilde ‚Erkenntnistheorie‘ eine Bezeichnung die erst nach Kant im 19. Jahrhundert gebraeuchlich wurde – wurde mir bereits im ersten Semester meines Studiums neben der Ontologie als eine Grundlagenwissenschaft der Philosophie vorgestellt. Es wurde behauptet, dass bereits die ersten griechischen Philosophen Erkenntnistheorie betrieben haetten. Philosophen, die sich von dieser Grundlagenwissenschaft verabschiedet hatten, schieden aus dem Club der ‚richtigen‘ Philosophen aus.
Will also ein Philosophiestudent ein (amtlich anerkannter) Philosoph werden, wird er um erkenntnistheoretische Fragestellungen nicht herumkommen. Die noch heute eher Metapyhsik als Philosophie lehrende universitaere Dissiplin fungiert als eine Art ‚Lordsiegelbewahrer‘.

Erkenntnistheorie ist überflüssig

Aus meiner heutigen Sicht ist Erkenntnistheorie ueberfluessig, weil sie ausser ‚preisend mit viel schoenen Reden‘ nichts zur Weiterentwicklung des ‚philosophieren‘ beitragen kann.
Aus meiner Sicht ergibt sich dieses Urteil vor allem daher, dass sie

  1. ‚erkennen‘ mit ‚wissen‘ gleichsetzt.
  2. stillschweigend davon ausgeht, dass Koerper und Geist(-Seele) substantiell unterscheidbar seien.
  3. außerdem ungeprüft davon ausgeht, dass ‚denken‘ unser ‚handeln‘ steuert.
  4. die eigenen Annahmen und Behauptungen fraglos als ERKENNTNISSE verwendet und auf diese Weise WISSEN sugeriert.

Erkenntnistheorie verhindert Weiterentwicklung der Philosophie

Erkenntnistheorie ist mir nicht gruendlich genug. Sie verlaesst und bezieht sich allzusehr auf die Autoritaet altvorderer Aussagen. Ihr eigener Anspruch, dass ‚denken‘ im Unterschied zum ‚tun‘ den Mehrwert der Theorien vor der Praxis ausmache, wird so weder eingeloest noch wirksam. Erkenntnistheoretiker denken im Rahmen der Tradition. Sie ueberschreiten und hinterfragen ihn nicht. Sie koennen ihn vermutlich weder ueberschreiten noch hinterfragen, weil ihre akademische Sozialisation die uebernahme traditioneller Denkwege verlangt. Es tut weh, Vertrautes und Gewohntes zu befragen oder es gar zu verlassen.

Fuer mich ist ‚erkennen‘ der gehorsame Vollzug von ‚urteilen‘ und ‚bewerten‘ im Kontext allgemeiner kultureller Sichten und Werte. Der bis heute selbstverstaendliche Gebrauch von Kants Transzendentalphilosophie und Vernunftauffassung duerfte meine Behautpung bestaetigen koennen. Dies hatte bisher zur Folge, dass Andersdenkende fuer weitere Generationen marginalisiert wurden.
Fuer mich ist ‚Geist‘ bzw. das ‚Denken‘ ein Buch mit sieben Siegeln, obwohl ich Jahrzehnte damit zubrachte ‚Geist‘ und reflexionsphaenomenologische Ueberlegungen zu erforschen. Ich meinte lange Zeit, ich wuesste, was Geist sei.
Folgendes kapiere ich nicht im Hinblick auf das Wissenschaftsverstaendnis der Philosophie: Im Hinblick auf tradtionelle theoretische Auffassungen (Erkenntnisse!) werden Aussagen und Forschungsergebnisse anderer Humanwissenschaftler abgewertet oder gar nicht zur Kenntnis genommen. Seit mehr als 50 Jahren darf es unter Humanwissenschaftlern als ziemlich gesichert gelten, dass unser ‚handeln‘ vor allem von unserer neurophysiologischen Natur gesteuert wird. Auch darueber gibt es innerhalb der Philosophie kaum Diskussionen und keine Konsequenzen fürs ‚philosophieren‘.
Möglich wäre darüber folgendes zu sagen: „Es gibt eine Erinnerungskultur der Bearbeitung von Erinnerungskultur, eine … verbreitete leise Begeisterung für die Konstrukteure von Bibliotheken, welche es uns heute ermöglichen, mit Neugier immer wieder anders durch die Regale zu jagen und aus den verstummten Stimmen der Frühzeit gedruckten Wissens unsere eigene intellektuelle Existenz lebendig zu erhalten.“ Ulrich Johannes Schneider: Anmerkungen zur Geschichte der Gelehrsamkeit. In: Friedrich Vollhardt: Historia literaria. Berlin (Akademie) 2007, S. 265ff.

Annahmen und ’nachdenken‘

Ich moechte philosophierend ’nachdenken‘ praktizieren, das sich auf ‚handeln‘ und dessen Erfordernisse bezieht. Erkenntnistheorie betrachte ich deshalb als eine von vielen Spekulationen, die erklaeren moechten, wie die ‚Welt uns bewusst‘ wird. Ich habe darauf verzichtet, darueber nachzudenken, weil ich dies fuer eine seit Jahrhunderten unbeantwortbare Frage halte. Zur Zeit sehe ich keinen Anlass davon auszugehen, dass es darauf jemals eine nachvollziehbare Antwort wird geben können. Hier folge ich gern meinem alten Lehrer Augustin Thagaste, der dies auch so sah. Ich stelle lediglich fest, dass ich sensoriere (empfinden), handle und nachdenke. Ich stelle fest, dass es nützlich ist, anstatt von Erkenntnissen von Annahmen auszugehen, um so in unterschiedlichen Situationen moeglichst optimal handeln zu koennen. Annahmen finde ich durch ’nachdenken‘.
Die Entscheidung gegen die Erkenntnistheorie fiel bei mir auch im Kontext der alltaeglichen Schulpraxis mit ungeeigneten schulischen Lerntheorien, die Lehrer in der Scheinsicherheit wiegen, dass sie wuessten, wie Schueler ‚richtig‘ lernen. Mein Resuemee: Schulische Lerntheorien entstanden in der Nachfolge erkenntistheoretischer Spekulationen. Ich halte sie für unbrauchbar.

sensorieren und sinnliche Wahrnehmungen



Sinnliche Wahrnehmungen hatte ich in meinen metaphysischen Zeiten: Sie waren das, dem ich wohl oder uebel nicht entkommen konnte. Sie stoerten aber mein zielstrebiges Tun und Denken. Sie zeigten sich widerspenstig und fuegten sich mit den Jahren immer seltener, in das, was ich dachte und erreichen wollte. Oft erschlugen sie mich einfach und ich wollte nur noch Ruhe vor ihnen haben.

Inzwischen habe ich festgestellt, dass es fuer mich einen Unterschied macht, ob ich von sinnlichen Wahrnehmungen spreche oder von ’sensorieren‘. Mit sinnlichen Wahrnehmungen verbinde ich ‚Erkenntnistheorie‘ – mit ’sensorieren‘ die Vorstellung von meiner ‚Einheit Koerper‘ . Erkenntnistheorie dient der Rechtfertigung von Wissen ueber Handeln – ’sensorieren‘ meinem ‚handeln‘. ‚physistisch philosophieren‘ dient so mir und meiner Autonomie , die mir – obwohl in Aussicht gestellt – Erkenntnistheoretie, bzw. Metaphysik nie ermoeglichten. Das duerfte daran liegen, dass der Metaphysik jede konkrete Soliditaet fehlt: sie metaphorisiert Konkretes ins scheinbar eigentliche „Sein“ des ‚Geistes‘, das seit Jahrhunderten hoehlenplatonisch als die eigentliche Wirklichkeit erreichbar in Aussicht gestellt wird. Im Moment bin ich versucht meinen Emotionen zu folgen. Ich war sehr lange damit beschaeftigt herauszufinden, was andere meinen, wenn sie die Metaphysik empfehlen. Doch ich lasse meine Emotionen lieber beiseite. Was ich hier schreibe, duerfte schon irritierend genug sein.

Von der Metaphysik bzw. der Erkenntnistheorie versprach ich mir Impulse fuer mein ‚handeln‘. Die Impulse blieben aus,  aber es stellten sich Impulse ein, die anderen Einsichten zu folgen schienen. Metaphysiker haben – um auch solche Phaenomene erklaeren zu koennen – vor zwei Jahrhunderten eine eigene Wissenschaft ins Leben gerufen, die sie Psychologie nannten. In schlimmsten Zeiten beschrieb ich mich als fremd gesteuert. Diese Redeweise war eine Folge entsprechender psychologischer Theorien. In meinen besten Zeiten hatte ich Hoffnung, dass ich effizient wuerde handeln koennen, wenn ich es nur richtig machte. Das ‚richtig-machen-muessen‘ passte zu meiner Berufstaetigkeit: Lehrerinnen sind qua Berufsrolle darauf verpflichtet, alles, aber auch wirklich alles richtig zu machen. Referendare duerften dies noch kennen. Spaeter verdraengt man das, sonst bringt es einen um. Aber es hinterlaesst an der Oberflaeche eine Empfindsamkeit, die von anderen als Kritikunfaehigkeit bezeichnet wird und sich durch Abwehr kundtut,  die ’sensorieren‘ veraendert und beeintraechtigt.

Tatsaechlich wirksam zeigte sich aber das Lucy-Syndrom: Eine Erfindung von Charles Schulz fuer den Kreis seiner „Peanuts“ . Sie sagt anderen stets ganz unverbluemt, was sie zu tun haben und weist sie auf ihre Charakterfehler hin. Sie hat immer recht und sie ist der Typus des ‚ungeselligen Menschen‘, den Kant bei seiner Kritik der reinen Vernunft im Auge hatte: Denn sie geht davon aus, dass sie andere eigentlich nicht braucht. Wozu auch? Vernunft hat sie selber und die ausschlieszlich braucht sie nach Auskunft vieler, vieler Philosophengenerationen, um richtig zu ‚handeln‘. Insofern ist Lucy eine aufgeklaerte Frau, die daran arbeitet, alles und jeden in den Griff zu kriegen.

Ich finde, Lucy macht deutlich, wohin Aufklaerung durch Vernunft fuehrt.

‚handeln‘ – einige Anmerkungen


‚hinsehen‘ und ‚herausfinden‘ als Ausgangspunkt

Meine Sichtweise auf ‚handeln‘ ist inzwischen durch ‚hinsehen‘ gepraegt. D.h. ich gehe davon aus, was m.E. jeder andere auch sehen kann, wenn er moechte. Wenn ich von Beobachtungen spreche, handelt es sich um Auswertungen meines ‚hinsehen‘, die ich auch als Schlussfolgerungen bzw. Spekulationen bezeichnen kann, um zu verdeutlichen, dass diese sich erst einmal nur für mich als zutreffend erweisen koennen. Es gibt m.E. keinen neutralen Standpunkt bzw. kein apriorisches Wissen, das sich zur Ueberpruefung meiner Schlussfolgerungen bzw. Spekulationen eignete. ’nachdenken‘ anderer darueber und ‚herausfinden‘, was es damit auf sich haben koennte, schon eher. Fuer alle Einwaende bzw. Kommentare brauche ich von meinen Gespraechspartnern Konkretes, um zu kapieren, wovon sie sprechen – ja, ich bin geradezu versessen darauf und stoere so zum Nachteil des Diskurses die Kreise anderer, die sich dadurch in Frage gestellt fuehlen. Dieses Handicap meines ‚philosophieren‘ duerfte vielen den Zugang zu ‚physistisch philosophieren‘ verwehren.

‚handeln‘ vollzieht sich ‚je nach dem‘ anders auf der Grundlage eines momentanen physischen Zustand

‚handeln‘ geschieht unterschiedlich ausgepraegt und unterschiedlich haeufig und doch als von physischen Zuständen ausgehend. Menschen atmen, gehen, sprechen, verdauen … je nach den Gegebenheiten ihrer augenblicklichen Verfassung und der Situation, auch im Hinblick auf Ziele – sagen sie. Dieses laesst sich m.E. auch so zusammenfassen: Der Mensch handelt ‚je nach dem‘ anders und folgt doch momentanen physischen Zustaenden bzw. eigenen Plaenen. Dass letztere ‚handeln‘ wirksam steuern, scheint mir unwahrscheinlich. Nach meinen Beobachtungen versagen menschliche Plaene, wenn unbekannte Situationen eintreten. Mein ‚hinsehen‘ ergab bisher: keine Situation gleicht einer anderen. Die Vergleichbarkeit duerfte sich nur aus der ‚Sache‘ ergeben, um die es geht. M.E. genuegt dies fuers erste, die grundsaetzliche Wirksamkeit von ‚planen‘ ausreichend fraglich erscheinen zu lassen. ‚handeln‘ duerfte also – ohne die behauptete Wirksamkeit bewusster Plaene – das jeweilige momentane Ergebnis, die Entscheidung aller koerperlichen Funktionen einschliesslich aller neurophysiologischen Aktivitaeten sein. Hinweise auf geistige und seelische Funktionen halte ich fuer traditionelle, metaphysische Erklaerungsmodelle. Sie entbehren jeder konkreten Grundlage und scheinen so untauglich fuer ‚physistisch philosophieren‘. Physistik verwendet gleichfalls Erklaerungsmodelle, die sich von anderen dadurch unterscheiden, dass sie ueberpruefbar sind.

Traditionelle Theorien und Systeme ignorieren Merkmale von ‚handeln‘

Das Sowohl-als-auch von ununterbrochenen Veraenderungen und momentanen physischen Zuständen des ‚handeln‘ ist mit systematisch-theoretischen Mitteln nicht zu fassen, denn Systematisches braucht feste Bezugspunkte, die pragmatisch m.E. nicht gegeben sein koennen. Welche Situation, welche augenblickliche Verfassung wiederholt sich? Trotzdem entwerfen Wissenschaftler Handlungstheorien und Philosophen Systeme fuer Ethiken und Moral und fordern andere auf, diese Erfindungen umzusetzen. Als Spezialisten fuer Systeme des Menschlichen koennen Philosophen und Psychologen gelten, die sich dazu heute zunehmend selbstverstaendlicher auf neurobiologische Ergebnisse stuetzen. Sie gehen dabei ferner von Annahmen wie ‚Geist‘, ‚Bewusstsein‘, ‚Ich‘, ‚Wollen‘, ‚Vernunft‘, … aus, die sich aus physistischer Sicht bisher als unueberpruefbare Denkfiguren erwiesen haben. Ich moechte deren Gebrauch daher niemandem streitig machen, moechte sie aber dem Bereich der Metaphysik zuordnen und aus ‚Eigentliche Philosophie‘ ausklammern. Sowohl der metaphysische Rahmen als auch die innerhalb der Metaphysik aufeinander bezogenen Denkfiguren und Bezeichnungen haben quasi religioesen Glaubenscharakter und stehen fuer deren Vertreter in der Regel nicht zur Disposition. Im Diskurs erweisen sich der Rahmen ‚Metaphysik‘ und ‚Metaphyzismen‘ als ‚ergebnisabschließend‘ (‚das ist so‘) und daher kontraproduktiv.

Skepsis wird als Instrument von ‚handeln‘ vom Mainstream der Philosophie ausgegrenzt

Innerhalb der Philosophie scheint ‚hinsehen‘ bzw. Skepsis als fragwuerdige bzw. unbrauchbare Qualitaet des Philosophierens zu gelten. Religioes-glaeubige Philosophen des ausgehenden 17. Jahrhunderts  sahen in der Skepsis neben dem Atheismus einen Hauptfeind der Religion und wahren Philosophie, also eine Gefahr für deren Wahrheit und Wahrheiten. Die Feindseligkeit glaeubiger Weltbilder gegenueber der Skepsis aeussert sich noch heute in der ueblichen, die Sache verkürzende  Gleichsetzung von Skepsis und Zweifel (u.a. bei Wikipedia). Das Herkunftswoerterbuch von Duden gibt die seit dem spaeten 17. Jahrhundert in Gelehrtenkreisen gebraeuchliche Bedeutung deshalb auch mit „Zweifel und Bedenken“ wieder. Die urspruengliche Bedeutung „Betrachtung, Untersuchung, Pruefung“ ist im Alltag und in den Menschenwissenschaften aus der Mode gekommen. Philosophen scheinen dies auch entgegen philosophiehistorischer Forschungen zu uebersehen. Meiners Enzyklopaedie der Philosophie aber nennt Skepsis als Bezeichnung fuer die ‚eigentliche Philosophie‘.

’sich in Frage stellen lassen‘

Geschichtlich gewachsenen Feindbildern ist diskursiv nicht beizukommen. Dazu braucht es Menschen, die bereit sind, sich im Diskurs in Frage stellen zu lassen. ‚physistisch philosophieren‘ ist ein Angebot an solche Menschen.

‚handeln‘ kann dieses Sich-in-Frage-stellen hervorrufen. Menschen handeln ‚je nach dem‘, d.h. situativ. Sie handeln auch nach Mustern: „Ich handle immer so …“ Wenn es zutrifft, dass ‚handeln‘ von der jeweiligen Verfassung und der Situation abhaengt, dann duerfte dies in unserer Kultur die tradierte Befuerchtung hervorrufen, es werde hier die menschliche Freiheit verneint und unverzichtbare Werte aufgegeben. Diese Befuerchtung ist menschlich. Menschen waehnen sich durch Gewohntes in Sicherheit und in greifbarer Naehe zu ewigen Dingen. Kants Entwurf einer transzendentalen Philosophie ist m.E. ein Beispiel dafuer. Seine Abstrakta entsprechen den Kriterien des Gewohnten.

Dichotomische Sichten vermischen ‚handeln‘ mit unbrauchbaren Spekulationen

Die Moeglichkeit menschlicher Entscheidungsfreiheit verneine ich nicht. Ich verneine aber, dass der unueberpruefbaren Denkfigur Ich dieses ‚handeln‘ zugeschrieben werden koenne. ‚Ich‘ und alle weiteren Metaphyzismen sind m.E. Produkte eines dichotomischen Philosophierens, das den Menschen geteilt in Koerper|Geist auffasst. Im Laufe der Entstehung unserer Kultur haben sich aus dieser Vorstellung heraus  Prinzipien zur Bewertung von Handeln eingebuergert, die uns heute unnoetigerweise einschränken und so den Blick auf moegliche andere Prinzipien verwehren. Das Produkt Koerper|Geist taugt heute m.E. nicht mehr, weil es so aussieht, dass immer mehr Menschen von ihrer individuellen Verfassung und ihren konkreten eigenen Gegebenheiten ausgehen moechten, um herauszufinden, wie sie wirksam handeln bzw. ihre Wirksamkeit verbessern koennen. Menschen moechten sich an Vorstellungen orientieren, die zu ihrem Leben und nicht zu Theorien anderer passen. Sich an diesen Orientierungen anregend und redlich zu beteiligen halte ich fuer ein menschlich lohnendes, philosophisches Betaetigungsfeld.

Theorien im wissenschaftlichen Diskurs


Ein Beitrag zur wissenschaftlichen Grundlagenforschung.

Ich gehe davon aus, dass der Mensch nur das denken kann, was seine physische Organisation – zu denen seine Sensoren gehoeren – ihm zur Verfuegung stellt. Diesen Gedanken stellte ich vor kurzem in einer interdisziplinaeren, universitaeren AG zum Diskurs. Dieser Gedanke sei trivial, niemand gehe davon aus, dass es anders sei, schallte mir entgegen. Die Antwort verblueffte mich. Ich stolpere naemlich seit Jahren darueber, dass Wissenschaftler von Theorien ausgehen, anstatt von dem, was wir sensorieren koennen.


Neurobiologie und Neuropsychologie

Ein Beispiel kann illustrieren, wie ich ins Stolpern komme.

„Das Interesse an den neurobiologischen bzw. neuropsychologischen Vorgaengen, die menschlichen Lern- und Entwicklungsprozessen zugrunde liegen, hat sich in den letzten Jahren zusehends gesteigert. … In zunehmendem Masse gerieten die Grundlagen der menschlichen Persoenlichkeitsentwicklung, der Handlungsplanung, der Ich-Funktionen oder der zwischenmenschlichen Kommunikation in den Blick, also das, was man als wesentliche Bereiche der menschlichen ‚Psyche‘ zu bezeichnen geneigt waere.“ [Guenter Schiepek (Hg.): Neurobiologie der Psychotherapie. (u.a. mit Beitraegen von Gerhard Roth, Manfred Spitzer, Manfred Lambertz, Volker Perlitz, Kai Vogeley, Christian Schubert …) Stuttgart (Schattauer) 2003,  S. 1.] Auszug bei Google-Buch

Die Psychologie verwendet philosophische Begriffe

Ich stolperte zuerst ueber den Terminus  „Interesse an den neurobiologischen bzw. neuropsychologischen Vorgaengen“. Mir ist bekannt, dass es mindestens seit dem 17. Jahrhundert ueblich ist, Gehirn und Psyche wissenschaftlich zu korrelieren. U.a. hat auch die Idee „Aether“ die wissenschaftlich-neurobiologische Szene dieser Zeit beherrscht. Man versprach sich eventuell von ihr, den „Begriff“ bzw. das Erklaerungsmodell „Psyche“ konkretisieren zu koennen. In diesem Sinne hat dann Christian Wolff’s Auffassung von Psychologie im 18. Jahrhundert zusammen mit den Forschungsergebnissen von Naturwissenschaftlern wie z.B.   Joseph Priestley , Charles Bonnet und Samuel Thomas Soemmering europaweit psychisches Geschehen im Gehirn verortet. Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts gingen davon einvernehmlich aus, wie u.a. Soemmerring in einem Brief an Kant erwaehnte.

Die dichotomische Theorie dahinter

Auch folgendes steckt m.E. hinter dem einleitenden Text bei Schiepek. Man moechte  Neurobiologisches und Neuropsychologisches als einander Ebenbuertiges auffassen. Die Annahme, dass Seelisches und Koerperliches sich in praestabilisierter Harmonie befaenden, wie z.B. bei Leibniz nachzulesen, mag die Selbstverstaendlichkeit solch wissenschaftlichen Hantierens zusaetzlich erlaeutern. Die m.E. ausschlaggebende Theorie dahinter aber heisst: Der Mensch besteht aus Koerper und Geist. Oder wie Descartes unterschied: Es gibt „res cogitans“ und „res extensa“. Die „res cogitans“ sei der „res extensa“ ueberlegen, fuehrte er weiter aus und folgte so alten ontologischen Auffassungen. Daraus folgerte er: Denkend erfasse der Mensch seine und jede andere Wirklichkeit, wenn er nach bestimmten Methoden vorgehe. Diese Methoden haben quasi apriorischen Charakter . Derartiges stellte meine oben erwaehnte Annahme, der Mensch kann nur denken, was er sensoriert, auf den Kopf und ich überlegte, wie auf diese Art und Weise sensorieren und denken verbunden sein könnten.

Frag-würdige Überprüfung von Theorien

Das ergab fuer mich die Vermutung, man wende wissenschaftlich bereits seit langem erhobene psychologische Termini und Erklaerungen auf neu entdeckte naturwissenschaftliche Sachverhalte an. Diese Vorgehensweise zieht sich durch jede Wissenschaftsgeschichte. Die dabei möglicherweise intendierte Ueberpruefung von Theorien, indem man sie anwendet, duerfte aber kaum gelingen, solange man sich grundlegenden Fragenstellungen an die eigene Theoriebildung entzieht, wie z.B. der folgenden:  Es soll naemlich „… hier davon ausgegangen werden, dass eine … Bezugnahme von geistigen Phaenomenen auf Hirnprozesse prinzipiell moeglich ist, …“ (Schiepek, 424)  Solche selbstverstaendlich verwendeten Voraussetzungen veranlassen mich stets zu grosser Distanz gegenueber dem, was dann als „wissenschaftliche Erkenntnisse“ praesentiert wird. Es war in diesem Fall z.B. voellig unklar, was der Terminus ‚geistige Phaenomene‘ bezeichnen soll. D.h. es wurde eine weitere Denkgewohnheit unhinterfragt verwendet. Diese Denkgewohnheit implizierten u.a. Mitbedeutungen wie: Geist sei etwas und habe die Macht oder Kraft auf unseren Koerper zu wirken.

Der selbstverständliche Gebrauch von Denkgewohnheiten wirkt verhängnisvoll

Hume hatte dieses „Wissen“ im 18. Jahrhundert m.E. durch Hinsehen auf die Dinge gruendlich in Frage gestellt.  Die Mehrzahl der Wissenschaftler zeigte sich seit Jahrhunderten unbeeindruckt von seinen Anregungen. Mir faellt es leicht zu Humeschen Beschreibungen ja zu sagen. Ich habe aus eigenem Erleben die Wirksamkeit selbstverstaendlich gueltiger Denkgewohnheiten und Auffassungen kennen gelernt. Ich bin ueber ihre negativen Folgen fuer mein Handeln nachdenklich geworden. Deshalb unterstelle ich Wissenschaftlern versuchsweise, dass sie das gleiche Verhaengnis wie ich erleiden. Sie leiden moeglicherweise an der platonisch-aristotelischen Krankheit, Dichtungen fuer Konkretes zu halten und sind unermuedlich auf der Suche nach Anzeichen dafuer, dass ihre in diesem Kontext erfundenen Theorien „wahr“ sind.

Wie weitreichend die Auswirkungen solcher Vorgehensweisen sind, liess sich fuer mich am zweiten Teil des Eingangszitates erahnen: „In zunehmendem Masse gerieten die Grundlagen der menschlichen Persoenlichkeitsentwicklung, der Handlungsplanung, der Ich-Funktionen oder der zwischenmenschlichen Kommunikation in den Blick, also das, was man als wesentliche Bereiche der menschlichen ‚Psyche‘ zu bezeichnen geneigt waere.“ Hier sollen komplette psychologische Forschungsbereiche im Verein mit voellig unterschiedlichen Auffassungen ueber „Persoenlichkeit, Handeln, Ich und Kommunikation“ miteinbezogen und mit neurobiologischen Grundlagen ausgestattet werden. Ich fragte mich, ob der Herausgeber sich nicht doch etwas viel vorgenommen hat. Koennte es sein, dass unerforschte Voraussetzungen zur Omnipotenz verleiten? Konkrete Beispiele fuer derartige Vermutungen kenne ich.

Neurobiologisch gestützte Spekulationen statt ‚hinsehen‘ auf die Dinge

Ich interpretierte diesen Ansatz schliesslich als Hinweis darauf, dass man daran interessiert sei, das Gespraech ueber neurobiologische Forschungsergebnisse nicht zu versaeumen, ohne sich ueber die eigenen Voraussetzungen Gedanken zu machen. Anders gesagt, ich hatte den Eindruck, man moechte bisher geuebte Theorien beibehalten und sie auf neurobiologische Forschungen stuetzen koennen. Aehnliches schien ein Mitautor des Schiepek-Bandes,  Kai Vogeley anzunehmen, wenn er von „neurobiologisch gestuetzten Spekulationen“ spricht. (Vgl. Kai Vogeley: Selbstbewusstsein, soziale Kognition und Hirnruhezustand . Aus einer Online-Veroeffentlichung der Arbeitsgruppe „Signsofidenty“ der Philosophischen Fakultaet der Leibniz Universitaet Hannover.)

Die Fragwuerdigkeit eigener Grundlagen wird ignoriert

Daraus folgerte ich, in dem vorliegenden Band wurden Theorien vor das Hinsehen gesetzt und so neu Sensorierbares gewohnheitsmaessig interpretiert. Das entsprach nicht meiner Sicht auf den Zusammenhang zwischen ’sensorieren‘ und ‚denken‘. Ich lasse Sensoriertes von meiner physischen Organisation verarbeiten und warte ab, welche Worte mir dazu einfallen. Marginalisiert wird dabei ausserdem, dass man innerhalb der Psychologie laengst bemerkt hat, dass Selbstverstaendlichkeiten sich aufloesen: „In den Kulturwissenschaften, in der Soziologie und der Psychologie ist fraglich geworden, inwieweit … und in welcher Form Begriffe wie „Subjekt“, „Person“, „Ich“, „Selbst“, die zum Grundbestand alteuropaeischer Denktradition gehoeren (Luhmann), … der Dekonstruktion standhalten koennen.“ Ebd.

Der Konsens – so fiel mir dazu ein -, den Augustin von Thagaste mit Freunden und Verwandten Ende des 4. Jahrhunderts in der Naehe von Rom herstellen konnte, dass der Mensch aus Geist und Koerper bestehe, ist schon seit laengerem nicht mehr unser Konsens.

Folgen: unzutreffende Schlussfolgerungen

Theorien über Menschliches gehen implizit immer noch davon aus.  So kommt es im Fall der „Neurobiologie der Psychotherapie“ zu weitreichenden, aber aus meiner Sicht sehr irrtumsträchtigen Aussagen, weil der Sachverhalt nicht beobachtbar ist: „Zumindest kann die Neurobiologie heute in groben Zuegen angeben, ‚wie das Gehirn die Seele macht‘.“ (Ebd. S. 41.) Mir fiel dazu ein Gespraech mit meinem Schwager ein, der als Physiker auf neurobiologischen Terrain forscht. Er sah ausgehend von der Sache keinerlei Moeglichkeiten derartige Aussagen machen zu koennen. Die experimentellen Settings zu diesem Thema verbinden nichts weiter als Aussagen der Probanden mit ihren Messergebnissen. (Vgl. Benjamin Libet : Mind Time. Frankfurt am Main (Suhrkamp TB) 2007, S.34ff. ) Derartige Schlussfolgerungen verbunden mit folgender verschlagen mir die Sprache. „Die Ergebnisse der Hirnforschung sowie der entsprechenden medizinischen Disziplinen machen plausibel, dass es sich bei der Beziehung zwischen mentalen Zustaenden und Hirnprozessen um eine sehr enge Korrelation handelt.“ (Schiepek, 424) Das wunderte mich nicht, denn man war ja bereits davon ausgegangen, dass diese Beziehung moeglich sei. Es verstärkte meine Idee, dass die wissenschaftshistorische Erforschung des Bezuges von Theorien zu Konkretem sehr wichtig sein dürfte.

Ich moechte anfuegen, dass auch ich ohne Theorie nicht handeln und forschen kann. Ich nenne das, wovon ich denkend und handelnd im Hinblick auf mein ’sensorieren‘ ausgehe, dank eines gruendlich ueberlegten Vorschlages von Rolf Reinhold, Annahmen – kleine Wolken. Sie haben den Vorteil, dass ich sie stets auf Konkretes beziehen und daher auch leicht korrigieren kann.

Man sieht, was man sieht und sieht nicht, was man nicht sieht.

Komplexe Theorien wie im Eingangszitat erwaehnt, die weitere wie „Ich“, „Bewusstsein“, „Geist“, „Seele“, „Subjekt“, „Objekt“ implizieren, scheinen infolge ihrer jahrhundertelangen Tradition des selbstverstaendlichen Gebrauches den Anschein von Fachwissen zu erwecken. Die Gewohnheit, Voraussetzungen im Sinne von Wissen anzuwenden, fuehrt vermutlich dazu, zu behaupten: Wir gehen alle denkend nur von dem aus, was wir sensorieren.

„Man kann doch sehen, dass die eine Billiardkugel die Ursache dafuer ist, dass die andere sich in Bewegung setzt!“, wurde Hume – und wird jedem der dies demonstriert – gegen seine auf ’sensorieren‘ bezogene skeptische Auffassung zum Dogma der Kausalitaet entgegengehalten. Was wir sehen, so antwortete Hume, ist, dass ein Ereignis dem anderen folgt. Rolf Reinhold wuerde ergaenzen, insofern ist das erste Ereignis die Ur-Sache. Hume resuemierte weiter, wir finden nichts an  einem erstmaligen Ereignis, das uns veranlassen koennte, konkrete Wirkungen verlaesslich vorauszusagen. Erst wenn wir wiederholt erlebt haben, dass einem bestimmten Ereignis immer wieder ein weiteres aehnliches Ereignis folgt, sagen wir: Wir sehen, dass das erste das zweite bewirkt. Hume fiel nichts Plausibleres ein, als dies Gewohnheit zu nennen, wobei er einraeumte, nicht zu wissen, wie es dazu kaeme. Derartige erworbene Sehgewohnheiten beherrschen als Erwartungen unser menschliches Denken und Handeln ueberall. Menschen neigen dazu, ihre Erwartungen bestätigt zu sehen. Darin duerften auch Wissenschaftler keine Ausnahme machen.

Fragwürdige Sicherheiten aufgeben

Wir sollten Sehgewohnheiten verlassen koennen, wenn wir interdisziplinaer weiter kommen moechten. Ich moechte aber warnen: Dabei koennte sich folgendes ergeben: „Die wahrgenommene qualitative Verschiedenheit der sich in der psychischen und der neuronalen Dimension manifestierenden Phaenomene liegt … an der unterschiedlichen Repraesentation ein und desselben Geschehens im Bewusstsein des Betrachters.“ (Mike Luedmann: Schizophrenie im Angesicht des Leib-Seele-Problems. Journal fuer Philosophie & Psychiatrie, Jg. 2 , 2009, Ausgabe 1.) Fachwissenschaftler duerften diesen Vorgang als schmerzliche Dekonstruktion eigenen Wissens erleben. Wenn ferner entsprechende Forschungsprogramme durchaus relevante Ergebnisse fuer die psychologische Praxis ergeben, auch „… wenn eine reduktive Erklaerung mentaler Phaenomene scheitert. …“, duerfte dies weitreichende Folgen fuer die jeweilige Wissenschaft haben. (Vgl. Guenter Schiepek: Die neuronale Selbstorganisation des Selbst.Ein Beitrag zum Verhaeltnis von neuronalen und mentalen Prozessen aus Sicht der Synergetik* (*Wissenschaft der Selbstorganisation)PDF-Datei.

Physistik statt Metaphysik

Traditionelle Sehgewohnheiten zu merken, scheint mir daher ein nuetzlicher Beitrag für den interdisziplinaeren Diskurs. Rolf Reinhold’s Idee Dinge zu beschreiben, die wir gemeinsam aspektualisieren können, koennte dazu beitragen unsere Basisannahmen nicht nur denkend gegenwaertig und so revidierbar zu halten, sondern sie auch so ueberschaubar wie nur moeglich zu halten.

Urspruenge unserer Weltbilder


‚Sich-ein-Bild-machen‘ scheint in der Regel, eher im Sinne von sich festlegen, gebraeuchlich zu sein. Etwas mehr Bewegung kommt ins Spiel, wenn jemand sagt, er moechte ’sich selber einen Eindruck von etwas verschaffen‘. Wenn Menschen ‚Eindruecke sammeln‘, scheint das Bild noch nicht in Sicht.

Eindruecke

Eindruecke von etwas oder von jemandem koennen sehr unterschiedlich ausfallen. Manchmal so unterschiedlich, dass man sich fragt: „Wo hatte ich nur meine Augen?“
Menschen duerften immer wieder erleben, wie irrtumsanfaellig eigene Eindruecke sein koennen. Viele irrtuemliche Eindruecke koennen – wie Shakespeare mit dem dramatischen Stoff des Othello illustriert – zu tragischen Folgen fuehren.

unmittelbare und mittelbare Eindruecke

Die Aussage ’sich einen Eindruck verschaffen‘, scheint – wie die rueckbezuegliche grammatische Konstruktion – auf den Urheber zu verweisen. Das trifft uebrigens auch fuer die Aussage ’sich ein Bild machen‘ zu. Zwei Menschen, die gemeinsam etwas erleben, gewinnen – wie sich gespraechsweise ergibt – verschiedene Eindruecke. Wir Menschen kommen immer wieder in Situationen uns einen Eindruck von etwas zu verschaffen oder uns ein Bild von etwas zu machen, bei dem wir nicht unmittelbar dabei gewesen sind.

eigene Kenntnisse

Wie stellen wir eine Art stimmigen Eindruck her, um zu sagen, ‚glaube ich‘ oder ‚glaube ich nicht‘ oder ‚das koennte sein‘ oder ‚das war so‘ ?
Unstrittig duerften Kenntnisse noetig sein. Erzaehlt z.B. jemand, er sei mit nur einer 40l-Tankfuellung von Hamburg bis Muenchen durchgefahren ohne nachzutanken, duerften wir leicht entscheiden koennen, was davon zu halten ist. Schwieriger oder gar aussichtslos wird es, wenn uns jemand etwas berichtet, wovon wir in der Sache wenig oder keine Ahnung haben.

eigene Erlebnisse und daraus gewonnene Erfahrungen

Weitere Kriterien fuer einen stimmigen Eindruck koennten Menschenkenntnis und Lebenserfahrung sein. Kinder nehmen meist alles, was man ihnen erzaehlt fuer ‚bare Muenze‘. Mit zunehmender Erfahrung und erweiterten Kenntnissen aendert sich dies.  Neurowissenschaftler gehen davon aus, dass eigene Erlebnisse und dass was Menschen daraus an Erfahrung gewinnen, unser eigenes Sensorium, konkret unsere Sensoren – veranlassen, Erlebtes, Gehoertes, Gelesenes zu bewerten, indem Impulse von Neuronen gehemmt, ignoriert oder akzeptiert werden. Kein Mensch aber dürfte die gleichen Erlebnisse gehabt haben wie ein anderer.

für jeden sind die Dinge so, wie sie ihm erscheinen

Das jeweilige Kriterium fuer Stimmigkeit duerfte also individuell verschieden sein. Wenn Menschen also sagen, dass sie sich selbst einen Eindruck verschaffen oder Eindruecke sammeln moechten, um sich ein Bild machen zu koennen, dann duerfte das Ergebnis ausschliesslich ihr eigenes Bild sein. Die Irrtumsanfaelligkeit weist ausserdem darauf hin, dass das individuelle Metrum Schwankungen unterliegt.